Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Verloren in der WeltVerloren in der WeltVerloren in der Welt

Verloren in der Welt

"b.17" von Martin Schläpfer in der Deutschen Oper am Rhein

 

Zunächst ein einzelner, geduckter Tänzer auf der Bühne, damit ist schon zu Beginn von Martin Schläpfers "7" der Ton seiner neuen Choreographie angestimmt. Gustav Mahlers 7. Sinfonie bildet die musikalische Grundlage und in der episodenhaften Ausgestaltung nimmt er Bezug auf Mahlers Biografie, Mahlers Ausgegrenztsein in der Welt, sein Gefühl des Fremdseins in einer Zeit des spürbaren Antisemitismus. Dieses Thema zieht sich durch das gesamte Stück und findet seinen stärksten Ausdruck im Spiel "Reise nach Jerusalem", bei dem immer jemand übrig bleibt, keinen Platz mehr findet. Hier ist es kein unschuldiges Spiel mehr. Das Reisen in die Sommerfrische, wo Mahler seine Sinfonie nach zunächst zähem Ringen endlich zu Ende schreiben konnte, findet auch Nachhall in Schläpfers Stück.

 

In den mehr heiteren, erzählerischen Passagen fährt man mit der Eisenbahn, vergnügt sich auf dem Lande, Küsschen austauschend. Die in der 7. Sinfonie verwendeten Kuhglocken, die Gitarre und Mandoline lassen solche Assoziationen wie von selbst anklingen. Daneben gibt es viele Abstraktionen, in denen die Grundstimmung facettenreich ihren Ausdruck findet. Bewusst wird mitunter gegen die Musik getanzt, Stiefel und Spitzenschuhe werden in den Boden gerammt als müsse man sich behaupten lernen. Die Kostüme, dunkle lange Mäntel und Stiefel, erinnern an Reisekleidung und jüdisches Habit orthodoxer Prägung, spiegeln so Exil und die Suche nach Heimat wieder. Ganz am Ende findet eine Tänzerin ihren Stuhl, nimmt ihn fast akrobatisch in Besitz, eignet ihn sich an.

 

Beeindruckend wie Schläpfer ganz aus der Musik schöpft und dennoch zu einem eigenständigen Ausdruck kommt. Für diese faszinierende Aufführung gab es deshalb auch euphorischen Beifall.

 

b.7 (Uraufführung)

MUSIK Sinfonie Nr. 7 e-Moll von Gustav Mahler

 

Choreographie: Martin Schläpfer

Musikalische Leitung: Axel Kober

Bühne und Kostüme: Florian Etti

Licht: Volker Weinhart

Orchester: Düsseldorfer Symphoniker

 

Tänzerinnen: Sachika Abe, Ann-Kathrin Adam, Marlúcia do Amaral, Camille Andriot, Doris Becker, Wun Sze Chan, Sabrina Delafield, Mariana Dias, Feline van Dijken, Carolina Francisco Sorg, Nathalie Guth, Alexandra Inculet, Yuko Kato, So-Yeon Kim, Anne Marchand, Nicole Morel, Louisa Rachedi, Claudine Schoch, Virginia Segarra Vidal, Elisabeta Stanculescu, Julie Thirault, Anna Tsybina, Irene Vaqueiro

 

Tänzer: Rashaen Arts, Christian Bloßfeld, Andriy Boyetskyy, Paul Calderone, Jackson Carroll, Martin Chaix, Michael Foster, Filipe Frederico, Philip Handschin, Richard Jones, Sonny Locsin, Alexander McKinnon, Marcos Menha, Bruno Narnhammer, Bogdan Nicula, Chidozie Nzerem, Alban Pinet, Friedrich Pohl, Boris Randzio, Alexandre Simões

 

Premiere 26. Oktober 2013, um 19.30 Uhr im Opernhaus Düsseldorf

 

Weitere Termine (Opernhaus Düsseldorf):

23.11.; 30.11.; 6.12.; 21.12.; 25.01.

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 13 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

JAGENDE HORN-PASSAGEN -- Neue CD von Helmut Lachenmann "My Melodies" bei Naxos (BR Klassik - musica viva)

Ein kompositorischer Umgang mit dem Phänomen Melodie steht im Mittelpunkt der Komposition "My Melodies" für acht Hörner und Orchester des 1935 in Stuttgart geborenen Helmut Lachenmann. Unter der…

Von: ALEXANDER WALTHER

VOLLENDETER FORMALER AUFBAU -- Bachs Matthäus-Passion mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben in der Stiftskirche STUTTGART

Für Karfreitag 1729 schrieb Johann Sebastian Bach seine "Matthäus-Passion" BWV 244 und arbeitete sie dann noch dreimal um. Der vollendet ausgewogene Aufbau dieses Meisterwerks kam in der Aufführung…

Von: ALEXANDER WALTHER

SCHONUNGSLOSE SELBSTERKENNTNIS --- John Gabriel Borkman im Schauspielhaus Stuttgart

Henrik Ibsen ist der Dramatiker der schuldhaft versäumten Selbstemanzipation. Er setzt sich schonungslos mit den Lebenslügen der Menschen auseinander. Seiner Devise "Dichten ist Gerichtstag halten…

Von: ALEXANDER WALTHER

DRAMATISCH GEBALLTER ABLAUF --- Verdi Operngala im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

Vorwiegend Spätwerke Giuseppe Verdis standen bei dieser sehr gelungenen Operngala auf dem Programm. Die vorzüglich musizierende Württembergische Philharmonie Reutlingen unter der inspirierenden…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINSTE SCHATTIERUNGEN DES GEFÜHLS -- Stuttgarter Philharmoniker unter Gabriel Feltz mit Berg und Brahms in der Liederhalle Stuttgart

Wieder konnte man als "Minutenstück" eine interessante Komposition eines Studenten der Kompositionsklasse von Prof. Marco Stroppa an der Stuttgarter Musikhochschule hören. Der 1987 in Mailand geborene…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑