Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Zwang und Drang - Fessle michZwang und Drang - Fessle michZwang und Drang - Fessle...

Zwang und Drang - Fessle mich

Almodovar im Theater TIEFROT in Köln

Almodovars Filme mit ihren hochsensiblen, liebenswerten, durchgeknallten Typen und Themen haben eine durchschlagende Anziehungskraft und eine grosse Fangemeinde. Kein Wunder, dass auch das Theater nach den herzzerreissenden Szenen aus dem gestörten modernen Stadtleben greift.

 

In Kölns unerhört lebendiger Theaterszene ist Almodovars Panoptikum nun ebenfalls angekommen. Das Theater TIEFROT ist hier eine der neusten kleinen Bühnen. Der schöne, kapellenähnliche Kellerraum eines Designerhotels, das in einem denkmalgeschützten neoromanischen Haus residiert, ist ein reizvoller Austragungsort für hautnah berührende Kammerspiele. Ein Abend über den Kindermörder Bartsch steht zum Beispiel auf dem Programm, ein neues russisches Stück, "Die Stadt" von Jewgeni Grischkowez, wird am 13. März Premiere haben. Unverkennbar der Schwerpunkt des Spielplans auf Randgruppen der Gesellschaft. Freilich in einer Form, die ebenso ernst wie spannend und unterhaltsam sein soll.

 

Almodovars Magie scheint auch im Theater ungebrochen. Der kleine Zuschauerraum ist voll, wenn die südländischen Großstadtfiguren am Rande des Nerven-zusammenbruchs ihr Wesen treiben, meistens auf einer grossen Liegewiese, die den Hauptteil der Mini-Bühne einnimmt.

Marina ist eine drogenabhängige Nutte und Pornodarstellerin, die sich in ihrer Freizeit trotz Handy erbärmlich einsam fühlt. Ricky ist eben dem Waisenhaus, der Psychiatrie und dem Erziehungsheim entronnen. Er verknallt sich rettungslos in Marina, die er wohl in einschlägigen Filmchen gesehen hat. Jedenfalls dringt er in ihre Wohnung ein, drängt sich ihr auf, fesselt sie sogar ans Bett, wenn sie Widerstand leisten will oder wenn er den Schauplatz verlässt. Letzteres tut er nur, um ihr Morphium oder Heroin zu besorgen. Er erzwingt sich brutal ihre Nähe, aber er macht sich auch unentbehrlich und erobert schliesslich ihr Herz. Alles wird gut. Wird alles gut?

 

Die Umsetzung des Filmdrehbuchs für die Bühne gelang, wie ich meine, nur unvollkommen. Der Ablauf wurde in kurze Sequenzen eingeteilt, was dem Film angemessen ist, im Theater aber langweilig werden kann, wenn nicht die Vielfalt der menschlichen Auseinandersetzung zum Tragen kommt. So hat die gestückelte Handlung hier die Tendenz, an manchen Stellen durchzuhängen oder ins Belanglose abzugleiten.

Die Regie von Theaterchef Volker Lippmann wirkt dieser Gefahr allerdings erfolgreich entgegen und lässt den Spannungsfaden bis zum Schluss nicht abreissen.

Die Schauspieler machen ihre Sache gut, allen voran Julia Beerhold als Marina. Sie strahlt als Einzige voll den abgedrehten, aggressiven, verletzlichen Charme der Almodovar-Typen aus und entführt uns mühelos in deren Stimmungs-Biotop. Carlos Garcia Piedra wirkt als Ricky etwas zu harmlos und brav, und Juliane Ledwoch als ballernde Schwester von Marina hat kaum Gelegenheit, eine einprägsameFigur zu entwickeln.

Amüsant und sehenswert ist die Vorstellung allemal, denn in Almodovars schrillen Fummeln erkennen wir irgendwie auch uns selbst und unsere Beziehungsprobleme, weil er das Dornengeflecht des Lebens auf seine Weise meisterhaft-exemplarisch beschreibt.

 

Premiere am 30.1.2003 im Theater TIEFROT, Dagobertstrasse 32, Köln

Weitere Vorstellungen 13., 14., 15. und 16. Februar

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 15 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

JAGENDE HORN-PASSAGEN -- Neue CD von Helmut Lachenmann "My Melodies" bei Naxos (BR Klassik - musica viva)

Ein kompositorischer Umgang mit dem Phänomen Melodie steht im Mittelpunkt der Komposition "My Melodies" für acht Hörner und Orchester des 1935 in Stuttgart geborenen Helmut Lachenmann. Unter der…

Von: ALEXANDER WALTHER

VOLLENDETER FORMALER AUFBAU -- Bachs Matthäus-Passion mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben in der Stiftskirche STUTTGART

Für Karfreitag 1729 schrieb Johann Sebastian Bach seine "Matthäus-Passion" BWV 244 und arbeitete sie dann noch dreimal um. Der vollendet ausgewogene Aufbau dieses Meisterwerks kam in der Aufführung…

Von: ALEXANDER WALTHER

SCHONUNGSLOSE SELBSTERKENNTNIS --- John Gabriel Borkman im Schauspielhaus Stuttgart

Henrik Ibsen ist der Dramatiker der schuldhaft versäumten Selbstemanzipation. Er setzt sich schonungslos mit den Lebenslügen der Menschen auseinander. Seiner Devise "Dichten ist Gerichtstag halten…

Von: ALEXANDER WALTHER

DRAMATISCH GEBALLTER ABLAUF --- Verdi Operngala im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

Vorwiegend Spätwerke Giuseppe Verdis standen bei dieser sehr gelungenen Operngala auf dem Programm. Die vorzüglich musizierende Württembergische Philharmonie Reutlingen unter der inspirierenden…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINSTE SCHATTIERUNGEN DES GEFÜHLS -- Stuttgarter Philharmoniker unter Gabriel Feltz mit Berg und Brahms in der Liederhalle Stuttgart

Wieder konnte man als "Minutenstück" eine interessante Komposition eines Studenten der Kompositionsklasse von Prof. Marco Stroppa an der Stuttgarter Musikhochschule hören. Der 1987 in Mailand geborene…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑