Für diese peinsame Konfrontation mit der Realität ersinnt Dr. Falke eine effektive Rache: Eigentlich müsste Eisenstein wegen Beamtenbeleidigung ins Gefängnis, aber Falke lockt ihn stattdessen auf einen Ball beim Prinzen Orlofsky. Dort führt er außerdem etliche nähere Bekannte des Herrn von Eisenstein zusammen – aber sie alle spielen an diesem Abend andere Rollen, Eisenstein erkennt sie nicht. Seine Frau kommt als ungarische Gräfin, deren Zofe als Schauspielerin, der Gefängnisdirektor als Chevalier. Eisenstein selbst gibt sich als Marquis aus, und derweil sitzt irritiert der Liebhaber seiner Frau unter Eisensteins Namen in Eisensteins Schlafrock im Gefängnis. Nach dem walzerseligen Ball-Akt gibt es am nächsten Morgen eine große Demaskierung im Gefängnis, der Düpierte ist hier nun Eisenstein, der die Maske des bürgerlichen Ehe- und Ehrenmannes einbüßt, während alle anderen ihr unbotmäßiges Balltreiben allein auf Falkes Inszenierung schieben können. Die Fledermaus hat zurückgeschlagen!
In der „Fledermaus“ ist alles ein bisschen zu schön. Es gibt ein fröhliches Erwachen aus den verschiedensten Verwicklungen: Die Eheleute vergeben sich, das Stubenmädchen hat einen Mäzen gefunden, der Drahtzieher der Geschichte konnte seine Rache erfolgreich durchführen. Obwohl die Masken gefallen sind, wird alles gut. Eine schöne Utopie, denn Enthüllungen hinterlassen im wirklichen Leben oftmals schmerzhaftere Spuren.
Doch dieses „Alles etwas zu schön“ ist Prinzip bei Johann Strauß. Denn er zeichnet eine Lebenshaltung nach, die sich zur Zeit der Entstehung der Operette in Wien längst ausgebreitet hatte: die ungezügelte Sucht nach Verdrängung. Gründe gab es dafür genug. Wien war durch den Börsenkrach von 1873 in seinen politischen, sozialen und moralischen Grundfesten tief erschüttert. Die explosive Mischung aus Hof und erstarkendem Bürgertum tat ihr übriges dazu, die Zeiten unsicher werden zu lassen. Täuschung und Maskierung waren schließlich beliebte und offenbar nötige Mittel, um beispielsweise im Reiche der Beamtenschaft voranzukommen. Das alles verbunden mit der unbändigen Lust am Spiel und am Fest, lässt die „Fledermaus“ zu einem Karneval der besonderen Art werden: Sie ist ein glasklares Spiegelbild einer Gesellschaft, die am Abgrund tanzt. Hinter dem turbulenten Verwechslungsspiel steckt mehr als bloßes gesungenes Amüsement: Die Bürger träumen sich im Rollenwechsel über ihr langweiliges, gesellschaftliches Alltagsniveau hinweg, aber dieser Traum mündet unsanft geradewegs im Kerkerfinale.
Damals wie heute betrügen sich Paare, erweist sich so manche Männerfreundschaft als brüchig, führen hochachtbare Personen ein scheinheiliges Doppelleben, bestimmt der Schein das Sein, feiert die Amüsiergesellschaft operettenselige Urständ’. Und wenn der Katzenjammer kommt: „Glücklich ist, wer vergisst…“
1874 wurde dieser Klassiker der Operette im Theater an der Wien uraufgeführt. Seitdem haben Melodien wie „Glücklich ist, wer vergisst“, „Klänge der Heimat“,„Spiel ich die Unschuld vom Lande“ oder „Brüderlein und Schwesterlein“ die Welt erobert.
Musikalische Leitung: Hendrik Vestmann
Inszenierung: Wolfgang Quetes
Bühne: Heinz Balthes
Kostüme: José Manuel Vázquez
Lichtdesign: Matthias Hönig
Chor: Donka Miteva
Choreographie: Tomasz Zwozniak
Dramaturgie: Wilfried Harlandt
Mitwirkende:
Fritz Steinbacher (Gabriel v. Eisenstein), Annette Johansson (Rosalinde, seine Frau), Henrike Jacob (Adele, deren Stubenmädchen), Rafael Bruck/ David Pichlmaier (Dr. Falke, Notar), Thomas Stückemann (Dr. Blind, Advokat), KS Andreas Becker/ Donald Rutherford (Frank, Gefängnisdirektor), Judith Gennrich (Prinz Orlofsky), Daniel Szeili/ Mindaugas Jankauskas (Alfred, sein Gesangslehrer), Benjamin Kradolfer Roth, (Frosch, Gerichtsdiener), Arabella Noh (Ida, Adeles Schwester)
Tanzensemble „Die Fledermäuse“
Chor der Städtischen Bühnen Münster
Sinfonieorchester Münster
Weitere Vorstellungen im Januar:
Freitag, 21. Januar, 19.30 h
Mittwoch, 26. Januar, 19.30 h
Samstag, 29. Januar, 19.30 h