„Die Hofmeister“ ist ein Kooperationsprojekt des Maxim Gorki Theater Berlin mit dem Campus Rütli und vielen anderen Partnern im Bereich des Quartiersmanagements „Reuterkiez“. Ziel der Arbeit ist ein Porträt des Reuterkiezes mit theatralischen Mitteln. Im Zentrum des Interesses steht die Frage nach gesellschaftlicher Kommunikation: was können wir von einander lernen? Wer ist Lehrer, wer ist Schüler?
Das Projekt wagt den Versuch in zwei Teilen. Der erste Akt findet im Mai in Neukölln unter der Überschrift „Freistunde“ statt. Der zweite Akt dieses „Stücks Neukölln“ transferiert die in Neukölln gesammelten Bilder, Texte und Ereignisse und lädt Ende Juni in das Maxim Gorki Theater an einen großen Tisch der Verwirrung: „Jeder Mensch ist ein Lehrer“.
Der Arbeit vorangegangen ist ein langwieriger Rechercheprozess. In über 30 Begegnungen hat die Autorin Anne Jelena Schulte Menschen in Neukölln getroffen und interviewt – diese Gespräche und die Kontakte, die durch die wochenlange Präsenz der Theatermacher in der Schule entstanden sind, bilden die Basis des Vorhabens. Thema und Titel sind abgeleitet von Jakob Michael Reinhold Lenz’ „Der Hofmeister“ (1774), das dem Projekt DIE HOFMEISTER nicht als Textgrundlage, sondern vielmehr als Modell dient. Der Lehrer in Lenz’ „Hofmeister“ wird im Verlauf des Stücks zum Schüler, die Schüler werden zu Lehrern ihrer Eltern. DIE HOFMEISTER arbeiten daran, für kurze Zeit eine vergleichbare Dynamik in Neukölln anzuregen.
Die Kreuzung Weserstraße/Ecke Pannierstraße wird ab dem 3. Mai 2011 zum Lehrraum, vom 26. bis 28. Mai werden die Ergebnisse der Arbeit jeweils abends vor Ort zu Theaterspektakeln montiert. Der Realisierung liegt ein einfaches Prinzip zugrunde: Jede Geschichte der Beteiligten wird erzählt, aber keiner erzählt seine eigene Geschichte. LEARNING BY TEACHING ist die Arbeitsweise: Die Geschichten der anderen sind der Lernstoff, alle sind gleichzeitig Lehrer und Schüler. Räumliches Zentrum des Projekts ist die Kreuzung Weserstraße/Ecke Pannierstraße.
Eine normale Straßenkreuzung in Neukölln, mit Trödelläden, einem Spätkauf, einer leerstehenden Arztpraxis, einer Kneipe, einem Zoogeschäft. Im Mai wird dieser Ort zum offenen Klassenzimmer, an dem sich Geschichten, Erfahrungen, Kenntnisse, Bilder aus Neukölln kreuzen. Die Autorin Anne Jelena Schulte wird in ihrem Projekt GIVE ME YOUR LOVE ab 3. Mai Liebesgeschichten aus Neukölln sammeln und sie noch am selben Abend mit Schauspielern des MGT Berlin und Laien zur Aufführung bringen:
Jeden Abend live Theater auf der Kreuzung. Der Regisseur Matthias Huhn gründet ab 10. Mai eine alternative Akademie, in der Menschen sich gegenseitig das beibringen, was sie gut können, von Auspuffreparatur bis Zen-Meditation. In der Gaststätte „Freies Neukölln“ wird sich jede Woche ein
Stammtisch mit Experten treffen, die sich mit Themen beschäftigen, die für Neukölln relevant sind, sich aber zum ersten Mal mit Neukölln intensiv auseinandersetzen. Schüler setzen im Spätkauf Texte ihrer Lehrer in Szene, Lehrer lernen von alten Neuköllnern kochen.
Am Ende des Prozesses steht eine große Performance (26. – 28.5.), in deren Rahmen die Straße zum Wimmelbild wird. Die Zuschauer werden in Gruppen eingeteilt, und in den obenbeschriebenen Räumen das Gelernte gelehrt bekommen. Dazwischen gibt es die Möglichkeit auf der Kreuzung zu flanieren.
Der zweite Teil des Projekts greift dieses Netz aus Bezügen, das der erste Teil über der Kreuzung spannt, auf und verdichtet das Material mit der Hilfe von Lenz’ Hofmeister zu einem Theaterstück der anderen Art. „Jeder Mensch ist ein Lehrer“ heißt die Überschrift über diesen zweiten Akt. Während der erste Teil als Straßentheater dezentral Geschichten, Fähigkeiten, Gesichter sammelt und Konstellationen herbeiführt, wird der zweite Teil dieses Material zu einer Theaterstraße im Bühnenraum fokussieren.
Die künstlerische Leitung des Projekts liegt in den Händen von Peter Kastenmüller, der als Regisseur bereits zahlreiche Projekte betreut hat, die sich mit dem Verhältnis von Alltagswirklichkeit und Theater auseinandersetzen. Insbesondere in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen entstanden eine Reihe breit angelegter Recherchearbeiten, die überregional Aufsehen erregten. Nach dem Studium der Philosophie gründete er 1994 die freie Theatergruppe "Particular Order" in München. Er war Assistent am Schauspiel Leipzig, danach fester Hausregisseur am Staatstheater Kassel und inszenierte u. a. am Schauspiel Hannover, an den Münchner Kammerspielen, am Maxim Gorki Theater, am Schauspiel Frankfurt und am Theater Basel. 2004 und 2006 war er Leiter des Stadtprojekts "Bunnyhill" an den Münchner Kammerspielen und führte dort 2008 Regie bei dem Projekt "Illegal" und 2009 beim Stadtprojekt "Hauptschule der Freiheit“. Kontinuierlich arbeitet Kastenmüller mit dem Bühnenbildner Michael Graessner zusammen, der auch bei dem Projekt DIE
HOFMEISTER für die räumliche Ausgestaltung und Organisation verantwortlich ist.
Von Seiten des Maxim Gorki Theaters wird das Projekt inhaltlich von dem Dramaturgen Ludwig Haugk leitend betreut. Die Kostümbildnerin Mona Kuschel arbeitet seit Langem im Grenzbereich zwischen künstlerischem Kostümbild und Textilarbeit als sozialer Intervention. Sie wird das Projekt in Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort kostümbildnerisch betreuen.
Zudem wirkt der Regisseur Matthias Huhn an dem Projekt mit, der ebenfalls in zahlreichen Projekten in Berlin, Kassel, Frankfurt/Oder und München Erfahrungen im Zusammenführen von Schauspielern und Laien sammeln konnte.
Die Autorin Anne Jelena Schulte hat in den letzten Monaten eine Vielzahl von Gesprächen mit Schülern, Lehrern, Eltern und Nachbarn der Schule geführt. Dieses Recherchematerial bildet gemeinsam mit dem Stück von J.M.R. Lenz die textliche Grundlage für das Projekt.
Es spielen: Hilke Altefrohne, Ninja Stangenberg; Johann Jürgens, Gunnar Teuber, sowie Schüler, Lehrer und Anwohner aus Neukölln
Regie: Peter Kastenmüller, Matthias Huhn
Bühne: Michael Graessner
Kostüme: Mona Kuschel
Text/Recherche: Anne Jelena Schulte
Dramaturgie: Ludwig Haugk/Cornelius Puschke