Biografie Özlem Özgül Dündar
1983 in Solingen geboren, studiert derzeit am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie auch als Übersetzerin arbeitet. Sie studierte Literatur und Philosophie in Wuppertal. Teilnehmerin der Darmstädter Textwerkstatt 2011 und 2012. Auslandsaufenthalte in Irland, Paris und in der Türkei. Sie schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke. Ihre Werke wurden in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien publiziert u.a. in Kasinostraße 3 (Poetenladen, Leipzig 2014). Sie erhielt 2011 das Merck Stipendium (Darmstadt) und ist 2014 Stipendiatin des Goethe-Instituts Istanbul gewesen. Einladung zur ersten Leserunde des Münchner Lyrikpreises 2014. Finalistin beim 22. Open Mike 2014. Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis beim Literarischen März 2015 der Stadt Darmstadt.
Stückbeschreibung: Jardin d’Istanbul
Vier Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland gekommen sind, arbeiten zusammen im Restaurant Jardin d’Istanbul. Ihr Arbeitsalltag spielt sich auf den wenigen Quadratmetern der Küche ab. Zwischen dem normalen Betrieb verhandeln sie ihre Sorgen und ihre Ängste um ihre Zukunft. Sie leben in einem routinierten Ablauf, sowohl von den handlichen Griffen der Arbeit, als auch von den sprachlichen Mustern, die sie scheinbar eigens für diesen Raum geformt haben. Ihre Sprache und ihre Geschichten erzählen von der Sehnsucht nach der Heimat und von Sprachlosigkeit in der Fremde.
Da Bedriye das Restaurant verkaufen möchte, sind alle um ihren Arbeitsplatz besorgt. Die angespannte Situation spielt sich in der Enge der Küche ab, in der sie gleichzeitig von Mäusen umgeben sind, von einem Fenster, das sich nicht öffnen lässt und von immer wieder zu ihnen hindurch dringenden Eindrücken von der Außenwelt, von der sie nur durch eine kleine Luke erfahren können. Sie leben wie am seidenen Faden. Bis am Ende der dünne Faden, auf dem sie laufen, reißt, als Mine bei der Arbeit ohnmächtig wird und nicht mehr aufwacht und kein Arzt gerufen werden kann, da sie illegal arbeitet.
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Biografie Miroslava Svolikova
geb. 1986 in Banska Bystrica/Slowakei, lebt und arbeitet in Wien. Diplomstudium der Philosophie in Wien und Paris, und seit 2011 an der Akademie der bildenden Künste Wien Diplomstudium Bildende Kunst. Veröffentlichung in div. Literaturzeitschriften, u.a. kolik. Shortgelistet beim ZeitCampus Literaturwettbewerb.
Stückbeschreibung: die hockenden
Wann ist etwas gesagt, das sich nicht der Relativierung des nächsten Momentes beugt, wer spricht, und wer sagt etwas? Welches Sprechen führt aus dem Denken heraus? Welches Erinnern führt schon in die Handlung hinein? Und wenn alles nur eine Wiederholung ist?
Vier Sprechpositionen: Der Besprochene, der etwas wahres sagen soll, die Hockenden, die auf eine wahre Rede warten, die Anderen, die es immer schon besser gewusst haben. Ein Alteingesessener, auf den niemand mehr hört. In den Kneipen fließt unendlich viel Schnaps.
Ein Ort, aus dem es keinen Weg hinaus zu geben scheint: zumindest weiß niemand etwas Genaueres. Ein bis zum Stillstand narkotisierter Ort, dem es an einem objektiven Außen mangelt, übersetzt als ein Begehren nach Wahrheit, der Wunsch nach wahrer Rede. Aber kann jemand innerhalb des Ortes diese Rolle übernehmen, vielleicht gegen seinen Willen, Instanz der Wahrheit zu sein, und fremdes Begehren zu tragen? Als einzige Sicherheit bleibt vielleicht die Notwendigkeit einer endlos wiederholten Implosion: alle paar jahre brennen in der furche die kneipen nieder. alle paar jahre räuchern welche die furche aus. dann baut man alles wieder neu. (...) sonst gäbs hier ja gar nichts zu tun.
Jury:
Jörg Albrecht, Autor
Esther Holland-Merten, Dramaturgin Schauspiel Leipzig
Iris Laufenberg, ab 2015/16 Intendantin Schauspielhaus Graz
Eva-Maria Voigtländer, Leitende Dramaturgin Burgtheater Wien
Peter Waterhouse, Autor
Auszug aus der Jury-Begründung:
„Wir wollen zwei Texte mit dem Retzhofer Dramapreis würdigen, weil beide mit einer starken Verschränkung von Form und Inhalt überzeugen. Mit Jardin D’Istanbul und die hockenden haben uns zwei Stücke mit ihrer jeweiligen Form, ihrer starken Sprache überzeugt, mit einer Sprache, die jeweils genau dem angemessen ist, was in den Texten geschieht, ja, die nur, weil die Sprache so arbeitet, wie sie arbeitet, überhaupt geschehen lassen kann, was dort geschieht.
Jardin D’Istanbul Das Stück kommt mit einer unaufwendigen Zweisprachigkeit daher, in einer Sprache, die nicht alles verständlich ausdrücken muss, die ihren Ausdruck immer wieder verhüllen kann, (…) die wahrscheinlich dem Spiel viel Platz lässt, weil die Sprache so uneindeutig sein darf. (…) Es ist eine der Qualitäten des Textes, dass hier von Anfang an auf Schwergewichte verzichtet werden kann.
Ganz anders geht es in die hockenden zu. Zwei Chöre und zwei Einzelstimmen sprechen in einer präzisen Partitur: (…) Die Sprache ist von großer Entschiedenheit, von einer Wucht, die sich in der grafischen Anordnung, in quadratischen, gepressten Textblöcken niederschlägt; sie ist zugleich von großem, sehr gekonntem Humor.
Beide Stücke sind gerade wegen ihrer spezifischen Sprachen so wenig vergleichbar. Doch wo die hockenden uns erzählen, dass es in unserer Gegenwart einer immensen Mühe bedarf, die Grenzen von Gemeinschaft und Denken aufrecht zu erhalten, dort hockenzubleiben, wo man ist, lässt uns Jardin D’Istanbul denen lauschen, die nicht geblieben sind, die woanders weggingen und immer noch wandern. Zwischen Hocken und Wandern wandern wir also hin und her, wenn wir diese beiden Texte – und ihre Autorinnen – auszeichnen. Herzlichen Glückwunsch!“
Zum Retzhofer Dramapreis:
Der Preis versteht sich als Nachwuchspreis für szenisches Schreiben und ist in dieser Art im deutschen Sprachraum einzigartig. Aus knapp 120 Einsendungen wählte eine Vorjury 14 BewerberInnen aus. RegisseurInnen, SchauspielerInnen und DramaturgInnen unterstützten die Nominierten in der Weiterarbeit an ihrem Wettbewerbsbeitrag. Im Anschluss daran wurden die eingereichten Arbeiten anonymisiert einer Jury vorgelegt, die das Siegerstück ermittelt.
Diese Verbindung zwischen Wettbewerb und Stückentwicklung erhöht die Chancen der Nominierten, in der Theaterwelt wahrgenommen zu werden. Davon zeugen die Biografien der bisherigen SiegerInnen, deren Stücke nach dem Gewinn des Retzhofer Dramapreises im gesamten deutschen Sprachraum gespielt und mit zahlreichen weiteren Preisen ausgezeichnet wurden: Gerhild Steinbuch, Johannes Schrettle (2003), Ewald Palmetshofer (2005), Christian Winkler (2007), Henriette Dushe (2009), Susanna Mewe (2011) und Ferdinand Schmalz (2013).
mehr informationen unter:www.dramaforum.at