Doch nicht mit Käthe! Die hat in ihrem Leben schon viel zu viel anderen Menschen geopfert. Zum Beispiel ihrem verstorbenen Mann Hans und den zwei Kindern ihre Karriere als Tänzerin. Nun ist sie an der Reihe: Zwangsumsiedlung kommt nicht in Frage, ganz im Gegenteil: ‚ab sofort wird über Braunkohle nur noch gelacht'. Und das Geld für die Umsiedlung wird in die Renovierung des zu räumenden Hauses gesteckt.
Käthe Hermann ist von ihrer späten Karriere als Primaballerina überzeugt, da geben ihre beiden Kinder im fortgeschrittenen Alter, Irmi und Martin, das ideale Publikum ab, wenn sie allabendlich in ihren vier Wänden die eigenen Auftritte inszeniert; mit Martin am Ton und Irmi am Licht. Dominant und mit maßlosen Illusionen ausgestattet hält Käthe das kleine Widerstandskollektiv gegen den Kohleabbau zusammen. Die Außenwelt existiert entweder nur noch als Bedrohung oder als imaginiertes Publikum für Käthes späten Weltruhm. Doch Tochter Irmi will ihr Leben nicht Käthes Vision anpassen; sie
widersetzt sich zunehmend den überbordenden Phantasmagorien ihrer Mutter. Irmi träumt von der Rückkehr ihres Sohnes und einem gemeinsamen Neuanfang jenseits des Abbaukraters. Martin, offenbar gelähmt, hat bescheidenere Glücksvorstellungen: er möchte einfach mal jemand anderes sein.
In dieser hermetischen Welt reiben sich die jeweiligen Glücksvorstellungen aneinander, bis der Konflikt zwischen Käthe und Irmi offen zutage tritt. Denn für Käthe gibt es nur eine denkbare Zukunft: dass sie mit ihrem späten Welterfolg alle materiellen Sorgen aus der Welt schafft und Bundeskanzlerin Merkel sowie die ganze Weltöffentlichkeit auf sie aufmerksam wird.
Die Wuppertaler Autorin Anne Lepper, die gerade als Nachwuchsdramatikerin des Jahres ausgezeichnet wurde, hat in ihrer ganz eigenen, grotesk zugespitzten Sprache ein Stück über eigene Glücksverheißungen und deren Kollision mit der Umwelt geschrieben. Mit Situationen, die zwischen Komik und Grauen wechseln, hat sie ein skurriles Familienpanoptikum geschaffen. In dieser kleinsten gesellschaftlichen Einheit, der Familie, begegnen uns Figuren, denen nichts mehr geblieben ist
außer ihren Träumen und Illusionen. Mit ihren egozentrischen Bestrebungen zum Glück verweist symbolisch diese Familie auf unsere Gesellschaft im Ganzen.
Käthe Hermann ist nach Prinzessinnendramen von Elfriede Jelinek und dem Projekt Märchenwald die dritte Inszenierung des jungen Wuppertaler Regisseurs Jakob Fedler an den Bühnen. Ansonsten inszeniert Jakob Fedler in Berlin, Erlangen, Heidelberg und Weimar.
Inszenierung: Jakob Fedler
Bühne und Kostüme: Dorien Thomsen
Musik: Michael Haves
Dramaturgie: Sven Kleine
Mit: Sophie Basse, Anne-Catherine Studer, Lutz Wessel
Die nächsten Vorstellungen sind am 28. und 29. November sowie am 06. und 08. Dezember im Kleinen
Schauspielhaus.