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"Reigen" von Philippe Boesmans an der Oper Stuttgart

Premiere am Sonntag, 24. April 2016, 18 Uhr / Opernhaus. -----

Der Reigen, das sind zehn mehr oder weniger erotische Treffen zwischen je einem Mann und einer Frau – wie in einem Kreistanz begegnen sich Dirne und Soldat zum „Zusammensein“, dann Soldat und Stubenmädchen, Stubenmädchen und Junger Mann, bis am Ende ein Graf wieder auf die Dirne trifft.

Allen sozialen Unterschieden zum Trotz wiederholen sich Motive und Verhaltensweisen in erschreckender Weise: Man ziert sich, man hat es eilig, man macht so etwas eigentlich nicht. Und „danach“ hat es plötzlich der andere eilig, wird grob oder entzieht sich mit belanglosen Sätzen. Zum Sex kommt es immer, zur Begegnung nur in Ausnahmefällen.

 

Schnitzler selbst verhängte ein Aufführungsverbot über seine 1920 geschriebenen Zehn Dialoge, das bis 1982 gültig war. Die Doppelmoral, die Schnitzlers Szenen zugrunde liegt, erscheint heute überwunden. Aber ist sie das wirklich oder hat sie nur neuen Komplexen, Lebenslügen und Verkrampfungen Platz gemacht?

 

Regisseurin Nicola Hümpel möchte in ihrer Inszenierung den immerwährenden großen Fragen nachspüren, wann durch Nähe Erotik entsteht, und wann durch Sex Nähe; wann Sex Nähe zerstört und wann die Nähe den Sex zerstört. Gleichzeitig zeigt sie die Figuren als Menschen des 21. Jahrhundert: „Wir sind heute mit großen Kontrasten, einer großen Ambivalenz gegenüber Sex konfrontiert“, so Hümpel. „Einerseits ist das Erotikempfinden junger Menschen in höchstem Maße durch die Pornoin-dustrie beeinflusst und Dank sozialer Netzwerke wie Facebook und Tinder steht ihnen eine große Aus-wahl an potentiellen Sexpartnern praktisch per Klick oder Wischbewegung zur Verfügung. Andererseits belegen Statistiken, dass in Deutschland die Asexualität zunimmt, dass der Sex-Unmut wächst. Mich inte-ressiert die Frage, wie sich junge Menschen heute überhaupt finden, wie sie sich einander annähern und wie sie ‚Partneroptimierung‘ betreiben.“

 

Boesmans’ Musiktheater erstmals an der Oper Stuttgart

Sylvain Cambreling dirigiert, Nicola Hümpel inszeniert eine Koproduktion mit Nico and the Navigators

Knapp einen Monat vor dem 80. Geburtstag des großen belgischen Komponisten Philippe Boesmans feiert die Neuproduktion seines Musiktheaters Reigen nach dem gleichnamigen Schauspiel von Arthur Schnitzler Premiere an der Oper Stuttgart. Die Musikalische Leitung hat Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling, der bereits die Uraufführung des Werks im März 1993 im Brüsseler Théâtre de la Monnaie mit Boesmans und Luc Bondy (Libretto/Regie) erarbeitete.

 

Die Stuttgarter Neuinszenierung liegt in den Händen von Nicola Hümpel, die von der Akademie der Künste den diesjährigen Konrad-Wolf-Preis verliehen bekommt. Den Bühnenraum entwickelt Oliver Proske. Hümpel und Proske gründeten 1998 das Berliner Musiktheaterensemble Nico and the Navigators, das mit bildstarken Inszenierungen von sich reden macht. Die künstlerische Verarbeitung von kuriosen Alltagserfahrungen mit allen Höhen und Tiefen zwischenmenschlicher Begegnungen ist die Spezialität dieses Ensembles und hat ihm Einladungen u.a. zu den Wiener Festwochen, dem Festival Automne en Normandie, dem Moskauer Dom Musiki, den Bregenzer Festspielen, dem Festival Nuits de Fourvière in Lyon und dem koreanischen Uijeongbu International Music Theater Festival sowie an die Pariser Opéra Comique, die Opéra de Dijon, die Opéra de Rouen und das Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg eingebracht. Nico and the Navigators wurden 2011 mit dem George Tabori Preis ausgezeichnet.

 

Für das Kostümbild von Reigen zeichnet Teresa Vergho verantwortlich. Sie entwarf an den Münchner Kammer-spielen unter anderem die Kostüme für Johan Simons‘ Inszenierungen von Sarah Kanes Gesäubert/ Gier/Psychose 4.48 (eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2012) und Elfriede Jelineks Die Straße.Die Stadt.Der Überfall (eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2013; in der Kritikerumfrage der Zeitschrift THEATER HEUTE mehrfach für das „Kostümbild des Jahres“ nominiert) sowie für Alain Platels Inszenierung tauberbach (eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2014), die erst jüngst am Schauspiel Stuttgart gastierte. Außer für die Münchner Kammerspiele schuf Vergho Bühnen- und Kostümbilder für das Staatsschauspiel Dresden, das Schauspiel Graz, das Staatstheater Nürnberg, das Staatstheater Darmstadt sowie für verschiedene freie Produktionen.

 

Acht der zehn Partien des Werks übernehmen Mitglieder des Stuttgarter Solistenensembles: Lauryna Bendžiūnaitė (Die Dirne), Daniel Kluge (Der Soldat), Stine Marie Fischer (Das Stubenmädchen), Sebastian Kohlhepp (Der junge Herr), Rebecca von Lipinski (Die junge Frau), Shigeo Ishino (Der Gatte), Matthias Klink (Der Dichter) und André Morsch (Der Graf). Melanie Diener ist mit der Partie der Sänger im Haus am Eckensee zu Gast. Ihr Repertoire umfasst u. a. die Rolle der Katja Kabanova (Berliner und Wiener Staatsoper), Ellen Orford in Peter Grimes (Wiener Staatsoper), Leonore in Fidelio (Zürich), Sieglinde in Die Walküre (Dresden), Webers Euryanthe (Toulouse, Warschau), Ursula in Mathis der Maler (Paris), die Marschallin im Rosenkavalier (Straßburg und Moskau) und Ariadne (Hamburg). Zuletzt war Melanie Diener als Isolde in Straßburg sowie als Marschallin in Moskau, Helsinki und Mannheim zu hören. Kora Pavelić aus dem Ensemble des Landestheaters Coburg kehrt in der Partie des Süßen Mäd-chens an die Oper Stuttgart zurück, wo sie 2013/14 zum Opernstudio gehörte und u.a. bei der Urauffüh-rung von Mark Andres wunderzaichen mitwirkte.

 

Musikalische Leitung Sylvain Cambreling

Regie Nicola Hümpel

Bühnenbild Oliver Proske

Kostüme Teresa Vergho

Dramaturgie Ann-Christine Mecke

 

Besetzung

Die Dirne Lauryna Bendžiūnaitė

Der Soldat Daniel Kluge

Das Stubenmädchen Stine Marie Fischer

Der junge Herr Sebastian Kohlhepp

Die junge Frau Rebecca von Lipinski

Der Gatte Shigeo Ishino

Das süße Mädchen Kora Pavelić

Der Dichter Matthias Klink

Die Sängerin Melanie Diener, Cornelia Ptassek (13. | 20. Mai | 3. Juni 2016)

Der Graf André Morsch

Staatsorchester Stuttgart

Statisterie der Oper Stuttgart

 

Weitere Vorstellungen: 29. April | 6. | 10. | 13. | 20. Mai | 3. Juni 2016

 

Hinweis:

Anlässlich des 80.Geburtstages von Philippe Boesmans am 17. Mai wird die Vorstellung von Reigen am 6. Mai 2016 live über das internationale Internetportal The Opera Platform (www.theoperaplatform.eu) übertragen und danach für weitere 6 Monate dort abrufbar sein. Parallel dazu steht die Aufzeichnung im Mai auf ARTE concert (http://concert.arte.tv/de) per Streaming zur Verfügung. Die Aufzeichnung wird im Rahmen des Programms Creative Europe der EU unterstützt. The Opera Platform wird unter der Projekt-leitung von Opera Europa, einem Zusammenschluss von 155 europäischen Opernhäusern und Festivals, gemeinsam mit dem deutsch-französischen Kultursender ARTE und fünfzehn Hauptpartnern unter den Häusern und Festivals umgesetzt. Als einzige Vertreter aus Deutschland sind die Oper Stuttgart und die Komische Oper Berlin unter den Hauptpartnern.

Eine Produktion der Oper Stuttgart in Kooperation mit Nico and the Navigators

 

Begleitveranstaltungen zu Reigen

Einführungsmatinee

Sonntag, 17. April 2016, 11 Uhr

Das Regie-Team gibt interessierten Opernbesuchern einen ersten Einblick in die Konzeption der Neuin-szenierung und beantwortet Publikumsfragen.

 

Nach(t)gespräche

Die Regisseure, Dramaturgen, Sänger und Dirigenten der Produktion beantworten Fragen der Zuschauer. Freitag, 13. Mai 2016

Freitag, 20. Mai 2016

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