Im Jahr 1494 werden diesem Schiff erstmals die „Narren“ als Passagiere zugeteilt, daraus wird mit der Moralsatire Das Narrenschiff das erfolgreichste Buch des späten Mittelalters. Sein Autor Sebastian Brant bietet darin die unterhaltsame Schilderung menschlichen Fehlverhaltens und Lasters und hält dem Leser seiner Zeit damit einen kritischen Spiegel vor. Nicht weniger narrenhaft geht es in einem der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts zu: Sind es bei Brant namentlich die „Narren“ auf dem Weg nach „Narragonien“, die dieses Schiff bevölkern, so ist es in Katherine Anne Porters Roman Ship of Fools (erschienen 1962, kurze Zeit später von Stanley Kramer u.a. mit Vivien Leigh, Oskar Werner, Simone Signoret höchst erfolgreich verfilmt) eine illustre Gesellschaft, die sich auf dem Passagierdampfer „Vera“ am Vorabend der Naziherrschaft auf die Reise von Mexiko nach Deutschland macht.
An Bord befindet sich eine bunt zusammengewürfelte Reisegesellschaft: eine rauschgiftsüchtige spanische Aristokratin, die als politisch Verbannte von Kuba nach Teneriffa deportiert wird, eine frustrierte amerikanische Millionärsgattin, ein jüdischer Fabrikant, ein deutscher Industrieller mit ungeniert nazistischen Ansichten, ein junges Maler-Pärchen, ein herzkranker Schiffsarzt und eine Mambo-Truppe nebst Sängerin.
Auf engem, unentrinnbarem Raum treten Leidenschaften, Abneigungen, Sehnsüchte unbekannter Dimensionen deutlicher zutage als im normalen Umfeld der einzelnen, Egoismen und Ignoranz führen zu einer Atmosphäre höchster Gereiztheit – ein Funke genügt, und das explosive Nebeneinander fliegt in die Luft. Höhepunkt dieses zwischen heiter und bedrohlich schwankenden Treibens ist ein Maskenfest, auf dem – angeheizt von den erotischen Verführungskünsten der Mambo-Truppe – auch die letzten zivilisatorischen Tabus fallen …
Dieser Reise ins Chaos – immerhin befinden wir uns Anfang der 1930er Jahre und das Schiff fährt in Richtung Deutschland – nimmt sich Ballettdirektor Jochen Ulrich in der letzten Neuproduktion des Ballettensembles für die laufende Spielzeit an. Zur eigens für diesen Abend arrangierten und komponierten Musik von David Wagner – die Spannbreite reicht von feurigen, lateinamerikanischen Mambo-Rhythmen der 1930er und 1940er Jahre (von Xavier Cugat, u.a.), über sehnsuchtsvolle Songs von Zarah Leander und Marlene Dietrich sowie bekannte Jazz- und Bluesstandards (Night time is the right time, Put the blame on mame u.a.) bis hin zum Walzertaumel eines Johann Strauß oder Emmerich Kálmán – wird er in seiner Choreographie und Inszenierung besonderes Augenmerk auf schneidend scharfe und absurde Bilder legen, die – ob mitreißend oder anrührend – vor allem eines sind: ein amüsant-grotesker bis bedrohlicher Tanz am Abgrund.
Arrangements und Musik von David Wagner
Musikalische Leitung David Wagner
Choreographie und Inszenierung Jochen Ulrich
Bühnenbild Alexandra Pitz
Kostüme Marie-Therese Cramer
Dramaturgie Julia Zirkler
Thiele, Schiffskapitän Ziga Jereb
Erster Schiffsoffizier Matej Pajgert
Dr. Schumann, Schiffsarzt Fabrice Jucquois
Die Autorin Sarah Deltenre
Johann, Schiffsjunge Gabriel Wanka
Frau Schmitt, kürzlich in Mexiko verwitwet Clara Pascual Martí
Elsa, ihre Tochter Agata Moll
Herr Rieber Alister Noblet
Fräulein Lizzi Spöckenkieker Lucia Patoprstá
Herr Freytag, ein Heimatloser Sakher Almonem
Ein Diplomat Wallace Jones
Reinaldo, ein Südamerikaner Alexander Novikov
Lola, eine Sängerin Daniela Dett
Amparo, eine Tänzerin Viktoria Slavina
La Condesa,
die als politisch Verbannte nach Teneriffa
deportiert wird Darie Cardyn
Mary Treadwell, eine geschiedene Dame,
die nach Paris zurückkehrt Anna Štěrbová
David Scott & Jenny Brown,
ein junges verheiratetes Pärchen,
beide Kunstmaler, auf ihrer ersten Europareise Morgan Reid, Tine Schmidt
David Wagner & Band
Ewald Zach, Hubert Kalupa, Gerd Rahstorfer, Bernhard Kitzmüller und Bernhard Walchshofer
Weitere Termine 1., 7., 23. und 27. Juni 2012; 1. Juli 2012