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Verfall und VerbrechenVerfall und VerbrechenVerfall und Verbrechen

Verfall und Verbrechen

"Marija" von Isaak Babel im Düsseldorfer Schauspielhaus

Copyright: Bernd Uhlig

 

St. Petersburg im Jahre 1920. In den Wirren der Revolutionstage herrscht Unsicherheit, Hilflosigkeit und Hunger. Während einige den alten Zeiten nachhängen, andere Haltung zu bewahren, sich zu arrangieren oder in religiösem Erweckungserlebnissen eine Gegenwelt aufzubauen suchen, übernehmen Schieber und Schwarzmarkthändler die Macht; sie sind die großen Profiteure der Umbruchsituation. Gewalt und Brutalität greifen mehr und mehr um sich. Für die Generalsfamilie Mukownin wird die abwesende älteste Tochter Marija, Rotarmistin und Kämpferin an der russisch-polnischen Front, zur Heilsbringerin glorifiziert, auf sie wird alles Gute projiziert, sie ist das Gegenbild zu allen Widrigkeiten des Alltags. So wie man in Tchechovs "Drei Schwestern" nicht nach Moskau geht, so erscheint auch Marija in Isaak Babels gleichnamigen Stück nicht. Der Untergang einer Familie als exemplarisches Sittenbild der Zeit.

 

Babels Revolutionstragödie zeigt die ganze Brutalität eines Bürgerkrieges, Zynismus und Gewalttätigkeit, menschliche Gemeinheit und Niedertracht. Die Utopie scheitert an der Realität. In ihrer Inszenierung schont Andrea Breth das Publikum nicht. Naturalistisch und detailgenau wiedergegeben sowie historisch verortet, hält sich Breth an den Text des ernüchternden und schockierenden Stückes. Mit Präzision werden die einzelnen Szenen, die locker miteinander verbunden sind und so einen prägnanten Einblick in das Zeitgeschehen geben, umgesetzt. Das Bühnenbild von Raimund Vogt unterstützt diese Konzeption. Das Geschehen spielt sich im Guckkasten sehr nah an der Rampe ab und macht so die Konfrontation des Zuschauers besonders eindringlich. Dazu trägt auch die mal intime, düstere oder grelle Beleuchtung bei.

 

Insgesamt 22 Schauspieler kommen zum Einsatz, die alle bis in kleine Geste hinein überzeugen und gelungene Charakterstudien darbieten. Eine brillante Ensembleleistung, die begeisterten Applaus hervorrief und noch lange haften bleibt.

 

Fassung von Andrea Breth, nach einer Übersetzung aus dem Russischen von Stefan Schmidtke, Mitarbeit Arina Nestieva

 

Besetzung:

Peter Jecklin / Mukownin

Marie Burchard / Ludmilla

Imogen Kogge / Katja

Klaus Schreiber / Dymschitz

Christoph Luser / Golizyn

Bärbel Bolle / Nefedowna

Pierre Siegenthaler / Jewstignejitsch

 

Premiere 7. Januar 2011, 19.30 Uhr, Großes Haus.

 

 

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