Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Geschlechter-Klassen-Clinch - Fräulein JulieGeschlechter-Klassen-Clinch - Fräulein JulieGeschlechter-Klassen-Clin...

Geschlechter-Klassen-Clinch - Fräulein Julie

Düsseldorfer Schauspielhaus

Der junge österreichische Regisseur Alexander Kubelka zeigte letzten Frühling auf der großen Düsseldorfer Schauspielhausbühne seine originelle Inszenierung von Lessings "Minna von Barnhelm". Im naßkalten Dezember 2000 brachte er nun im Kleinen Haus einen viel jüngeren Klassiker heraus, Strindbergs "Fräulein Julie". Das Drama entstand 1888, es handelt von der verhängnisvollen Affäre einer Grafentochter mit ihrem Hausdiener, die zu nichts anderem führen kann als zur gegenseitigen Zerfleischung bis zum tödlichen Ende. Katalysator für den bitteren Geschlechterkampf ist der festgefügte Standesunterschied zwischen Herrin und Knecht, den beide als Brandzeichen an und in sich tragen. Er ist unüberwindbar, er bleckt aus jeder Geste, er schreit aus jedem Wort.

 

Was die Form betrifft, so weisen die beiden Inszenierungen starke Ähnlichkeiten auf. Dieselben Hauptdarsteller. Die modernen Kostüme, die schwindelerregend hochhackigen Frauenschuhe. Kubelkas tolle szenische Fantasie, viele überraschend frische Ideen, verbunden mit einer ausgesprochen werktreuen Behandlung der Sprache. Der gleiche Baustellenschick aus Alu, Holz und Plexiglas, seltsam isoliert, mit engen Hühnerleiterzugängen. Diesmal eine quadratische Klotzbühne mit gelochtem Boden mitten im Publikum. Und wieder der amerikanistische Dröhn-Sound als gelegentliche Begleitung.

 

Diese Art Entrümpelung ging bei "Minna von Barnhelm" wunderbar auf in Lessings umfassender Humanität. Bei "Fräulein Julie" reibt sie sich wund an Strindbergs wütendem Menschenhass und bringt merkwürdigerweise eher die gestrigen als die zeitlosen Züge des Stücks zur Geltung.

Als Beispiel seien die erotischen Wasserspiele des unglückseligen Paars genannt.

Verliebte Planschereien auf der Bühne gehören mittlerweile zum eisernen Bestand neudeutscher Inszenierungsideen. Julie und Jean aber sinken auf dem Höhepunkt der Begierde vollständig angezogen in ein winziges, tiefes Wasserbecken, ich bangte eher um ihre Taucherfähigkeiten als dass ich mir eine noch so mühsame, geschweige denn lustvolle Unterwasserbegattung vorstellen konnte. Als sie pitschnass wieder auftauchten und den postkoitalen Vernichtungskrieg klamm wie begossene Pudel in trostlosen Wasserlachen ausfochten, verbreitete sich tropfende Kläglichkeit, die dem Biß des Textes nicht immer gerecht wurde.

 

Myriam Schröder war damals eine berückende Minna von Barnhelm. Auch als Julie zeigt sie nun ihre Schönheit und Kraft, aber sie wirkt allzuoft atemlos und gehetzt. Klaus Rodewald erschien mir als Tellheim zwar schmalspurig aber beachtlich. Bei Strindbergs Diener Jean lässt er manchmal einen angestrengten, selbstgefälligen Hang zur Durchschnittlichkeit spüren.

 

Diese Einschränkungen weisen auf die Gefahr hin, dass ein bemerkenswertes Regietalent sich allzu schnell erschöpfen könnte. Eine große künstlerische Kraft hat Kubelka trotzdem allemal, genau wie sein Inszenierungsteam und die Schauspieler. Deshalb ist bei allen Fragwürdigkeiten der Abend eine interessante Manifestation der kreativen Auseinandersetzung junger Theatermacher mit dem dramatischen Erbe.

Zum Schluß sei mit einem besonderen Lob die ausgezeichnete Heidi Ecks genannt, die ihre schwere Rolle der Christine, demütige Magd und Prellbock zwischen den Feuerköpfen Julie und Jean, mit intensiver Genauigkeit spielt.

 

"Fräulein Julie" von August Strindberg

im Düsseldorfer Schauspielhaus, Kleines Haus

Premiere 10. Dezember 2000

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 15 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

REIF UND ABGEKLÄRT -- Stuttgarter Philharmoniker mit Mozart und Bruckner in der Liederhalle STUTTGART

Leider fand die konzertante Aufführung von Puccinis "Madame Butterfly" aufgrund der Erkrankung des Chefdirigenten Dan Ettinger nicht statt. Es gab eine Programmänderung. Gleich zu Beginn faszinierte…

Von: ALEXANDER WALTHER

DIE SONNE ALS EINHEIT -- "Sonne/Luft" von Elfriede Jelinek im Kammertheater Stuttgart

Sonne und Luft stehen im Mittelpunkt dieses vielschichtigen Stücks von Elfriede Jelinek, das den Irrungen und Wirrungen des Menschen nachgeht. Der Umgang mit der Umwelt und dem Klimawandel spielt in…

Von: ALEXANDER WALTHER

ERGREIFEND UND TIEFGRÜNDIG -- Bach-Kantaten mit der Gaechinger Cantorey im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

Das vorletzte Konzert der Reihe "Vision Bach" stand unter dem Motto "Zum Himmel wandern". Unter der inspirierenden Leitung von Hans-Christoph Rademann musizierte die Gaechinger Cantorey zunächst die…

Von: ALEXANDER WALTHER

EIN HAUCH VON RENAISSANCE -- "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill und Bertolt Brecht in der Staatsoper STUTTGART

Die Inszenierung von Ulrike Schwab wartet mit einer Überraschung auf, denn das "Jüngste Gericht" von Michelangelo ist Teil des einfallsreichen Bühnenbildes von Pia Dederichs und Lena Schmid. Die…

Von: ALEXANDER WALTHER

BEWEGENDE VISUELLE STEIGERUNG -- Stuttgarter Ballett mit Tschaikowskys "Schwanensee" in der Staatsoper Stuttgart

Unsterblich ist die Choreographie John Crankos zu Peter Tschaikowskys "Schwanensee"-Ballett aus dem Jahre 1963 geworden, die jetzt wieder in Stuttgart zu sehen ist. In Bühnenbild und Kostümen von…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑