Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
MUSIK DER WORTE - 1. Liedkonzert mit Mingjie Lei und Jan Philip Schulze in der Staatsgalerie StuttgartMUSIK DER WORTE - 1. Liedkonzert mit Mingjie Lei und Jan Philip Schulze in...MUSIK DER WORTE - 1....

MUSIK DER WORTE - 1. Liedkonzert mit Mingjie Lei und Jan Philip Schulze in der Staatsgalerie Stuttgart

am 26.9.2023 in der Staatsgalerie (Internationale Hugo-Wolf-Akademie und Staatsoper) STUTTGART

Mit der tonalen und melodisch eingängigen Komposition "Jin Se" des chinesischen Komponisten Long Wang wurde dieses besondere Liedkonzert eröffnet. Dieses Lied basiert auf einem 3000 Jahre alten Gedicht. Es geht darum, dass vieles, was uns in bestimmten Augenblicken zu schaffen macht, aus späterer Perspektive keine Bedeutung mehr hat. Man jagt nach dem Besten, Schönsten, Höchsten - und übersieht, dass man es schon besitzt.

 

Copyright: Matthias Baus

Dem versierten und sensibel deklamierenden chinesischen Tenor Mingjie Lei gelang es zusammen mit dem einfühlsamen Pianisten Jan Philip Schulze, den großen dynamischen Bogen dieses Liedes in eindringlicher Weise einzufangen. Long Wang folgt hier der Melodie der Worte.

Ausgesprochen bewegend gestaltete Mingjie Lei dann die Lieder "Nachts in meinem Garten" op. 38 Nr. 1, "Schön ist es hier" op. 21 Nr. 7 sowie "A-u!" op. 38 Nr. 6 von Sergei Rachmaninov. Die sinnliche Reizwelt und die Eleganz der Fin-de-siecle-Kultur blitzten hier hervor, wobei beide Künstler bei ihrer einfühlsamen Wiedergabe nicht übertrieben. Auch die slawische Melancholie  lebte hier immer wieder auf - und es kam oftmals zu einer berauschenden Klangfülle, die der Pianist Jan Philip Schulze zusammen mit Mingjie Lei entfachte. Dynamische Spannungen wuchsen ins Uferlose, wobei es dem Tenor in ausgezeichneter Weise gelang, die thematische Substanz herauszuarbeiten. Auch die lyrischen Seitenthemen kamen dabei nicht zu kurz.

Eindringliche Motive unterstrichen immer wieder den Charakter unterdrückter Leidenschaft. Interessant war außerdem die dezente und rhythmisch wunderbar ausbalancierte Wiedergabe der "Music for a while" (Arie aus der Bühnenmusik für das Drama "Oedipus") von Henry Purcell. Dabei leuchtete die modal gefärbte Harmonik hell auf. Chromatische Figurationen korrespondierten in reizvoller Weise mit weiträumiger Kadenzharmonik, wobei die Kantilenen des Tenors Mingjie Lei bei "Turn then thine Eyes" aus der Semi-Opera "The Fairy Queen" (bearbeitet für hohe Stimme solo und Klavier von Benjamin Britten) sowie dem Lied "Not all my torments" hell aufleuchtete.

Auch bei den mit starker Emotion vorgetragenen fünf Liedern op. 106 von Johannes Brahms betonte der Tenor Mingjie Lei die klangliche Differenzierung der Kantilenen und dynamischen Qualitäten. Die sensible Poesie kam bei den einzelnen Liedern "Ständchen", "Auf dem See", "Es hing der Reif" oder "Ein Wanderer" überzeugend zum Ausdruck. Der harmonischen Vielschichtigkeit dieser Lieder wurden die beiden Künstler in hervorragender Weise gerecht.

Zuletzt erklangen von Kurt Weill das Lied des Lotterieagenten aus der Oper "Der Silbersee", "Lonely House" aus der Oper "Street Scene" sowie der rhythmisch ansprechend vorgetragene Song "Buddy on the Nightshift". Staccato-Akzente dominierten im ersten, während Jazz-Anklänge im zweiten Stück hervorblitzten. Die chromatischen Finessen von "Buddy on the Nightshift" blieben stark im Gedächtnis und machten den Blick für die erweiterte Tonalität frei. Für Mingjie Lei ist Weill ein Komponist, der auch Verletzlichkeit und Humor aufgrund der Zeitgeschehnisse zum Ausdruck brachte.
Begeisterter Schlussapplaus.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 15 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EINE FAST HYPNOTISCHE STIMMUNG -- Gastspiel "Familie" von Milo Rau mit dem NT Gent im Schauspielhaus STUTTGART

Dieses Stück erzielte bei Kritikern zum einen große Zustimmung, zum anderen schroffe Ablehnung. Vor allem die nihilistischen Tendenzen wurden getadelt. Der Schweizer Milo Rau hat hier das beklemmende…

Von: ALEXANDER WALTHER

MIT LEIDENSCHAFTLICHEM ÜBERSCHWANG -- Richard Wagners "Walküre" mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra konzertant im Festspielhaus/BADEN-BADEN

Wagner hatte die Komposition der "Walküre" im Sommer 1854 begonnen, noch vor der Vollendung der "Rheingold"-Partitur. Der Dirigent Yannick Nezet-Seguin begreift mit dem vorzüglich disponierten…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUFSTAND DER UNTERDRÜCKTEN -- "Farm der Tiere von George Orwell im Schauspielhaus Stuttgart

"Kein Tier in England ist frei!" So lautet das seltsame Motto von George Orwells "Farm der Tiere", die wie "1984" auch irgendwie eine seltsame Zukunftsvision ist. Die Tiere wie Hunde, Hühner, Schafe…

Von: ALEXANDER WALTHER

VERWIRRUNG BIS ZUM SCHLUSS -- "Es war einmal ein Mord" von Giovanni Gagliano im Theater Atelier Stuttgart

Eine geschickt verwobene und raffinierte Handlung präsentiert Vladislav Grakovski in seiner Inszenierung des Kriminalstücks "Es war einmal ein Mord" von Giovanni Gagliano. Spannung, Humor und…

Von: ALEXANDER WALTHER

BERÜHRENDE MOMENTE -- "Spatz und Engel" mit dem Tournee-Theater Thespiskarren (Produktion Fritz Remond Theater im Zoo, Frankfurt) im Kronenzentrum BIETIGHEIM-BISSINGEN

Edith Piaf und Marlene Dietrich stehen hier im Schauspiel mit Musik von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry als zwei Göttinnen des Chansons im Mittelpunkt des Geschehens. Und es ist gar nicht so…

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑