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ZU RASANTE AUTOFAHRT - "family affairs" im Studiotheater STUTTGART

am 1. März 2024

Diese absurd komische Tragödie der Kölner Autorin Ingrun Aran hat es in sich. So wird hier die Tochter Anne aufgefordert, ihre Eltern ins Kneipp-Heilbad Bad Münstereiffel zu fahren. Und so starten Tochter Anne, Mutter Margo und der immer schläfrige Vater Hugo zu einem Roadtrip der besonderen Art. Zwischen Schwarz-Weiß-Denken und extremen Stimmungsschwankungen wird diese scheinbar harmlose Idee zu einem Albtraum.

 

Copyright: Stephan Haase

Denn Mutter Margo gibt keine Ruhe, lästert über Annes Vater: "Den kannste total  abschreiben!" Sie bezeichnet ihren Mann sogar als "Klofetischisten": "Ein alter Mann ist der geworden!" Die Mutter beklagt sich, dass die  Familie ihres Mannes sie immer nur loswerden wollte.  Man habe ihm deswegen pausenlos Blondinen und andere Frauen präsentiert. Schließlich kommt die Familie recht glücklich in Bad Münstereiffel an, aber die überanstrengten Eltern wollen schon bald wieder nach Hause fahren. Doch im Cafe Simmering gibt es eine kleine Zwischenstation.

In der Regie von Christof Küster steigert sich die Situationskomik recht überzeugend. Bei der überhasteten Rückfahrt gerät die Autofahrt für Anne zu einem wilden Trip in die Abgründe ihrer Kindheit in den 90er Jahren.  Überhaupt gehören diese gelungenen Szenen zu den Höhepunkten der Aufführung. Die Ausstattung von Maria Martinez Pena zeigt ein Rondell, an dem die Eltern und auch die Tochter immer wieder drehen. So sollen die Auto- und Verfolgungsjagden plastisch dargestellt werden.

Die Aufführung lebt ganz vom hervorragenden Spiel der Darsteller Gundi-Anna Schick als Mutter Margo,  Eberhard Boeck als Vater Hugo sowie Paulina Pawlik als Tochter Anne, die sich in ihren grandiosen Wutausbruch am Steuer des Autos phänomenal  hineinsteigert. Die Symptomatik wirkt sich hier auf die Angehörigen der Familie tatsächlich fatal aus, denn zuletzt geht das Auto in Flammen auf und die Eltern stehen schemenhaft-gebannt an der Wand. Dramaturgisch ist diese letzte Szene ungemein geschickt und geradezu raffiniert gelöst, in Überblendungen sieht man immer wieder das Ehepaar, das von den Tiraden der aufgebrachten Tochter überschüttet wird.

Annes Leiden beim erzwungenen Jazz Dance sowie bei Leichathletik statt Reiten enden in einer gewaltigen Jeans-Rebellion. Die autoritäre Mutter sorgt schließlich für die Katastrophe: "Das ist doch lustig! Lach doch mal!" Anne wehrt sich heftig: "Ich bleib' fair. Meine Mutter denkt immer nur an sich." Dann gibt die Tochter Gas - und es kommt zum Fiasko. Man spürt, wie diese Protagonisten ganz allmählich  innerlich absterben und seelisch ausbluten. Jeder versucht, aus einem Gefängnis auszubrechen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Borderlinestrukturen werden thematisiert, weil es an gesellschaftlichem Zusammenhalt mangelt.

Die verhängnisvolle und viel zu rasante Autofahrt führt unweigerlich ins Dilemma. Die Tochter liebt nur den Hund, der ihr das Leben gerettet hat. Und die Mutter leidet unaufhörlich bis zum bitteren Ende: "Wir haben die Abfahrt verpasst!" Jubel und lang anhaltender Schlussapplaus.
 

 

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