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FEINSTE SCHATTIERUNGEN DES GEFÜHLS -- Stuttgarter Philharmoniker unter Gabriel Feltz mit Berg und Brahms in der Liederhalle StuttgartFEINSTE SCHATTIERUNGEN DES GEFÜHLS -- Stuttgarter Philharmoniker unter...FEINSTE SCHATTIERUNGEN...

FEINSTE SCHATTIERUNGEN DES GEFÜHLS -- Stuttgarter Philharmoniker unter Gabriel Feltz mit Berg und Brahms in der Liederhalle Stuttgart

am 20.3.2024 im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Wieder konnte man als "Minutenstück" eine interessante Komposition eines Studenten der Kompositionsklasse von Prof. Marco Stroppa an der Stuttgarter Musikhochschule hören. Der 1987 in Mailand geborene Francesco Ciurlo stellte als Uraufführung sein Stück "Segnale Immaginario" vor. Es ist eine facettenreiche Hommage an den Abstraktionismus des genuesischen Malers Eugenio Carmi.

 

Die Strenge der Formen und die unmögliche Semiotik stehen dabei im Mittelpunkt. Die drei spannungsvollen Minuten des Werkes orientieren sich stark an der Geometrie. Sie geben aber auch einen Pfad und eine Richtung an. Glissando-Effekte, Pauken- und Bläsereinsätze führen schließlich zu einer fulminanten dynamischen Steigerung. Die Stuttgarter Philharmoniker unter der einfühlsamen Leitung von Gabriel Feltz bannten diesen Klangkosmos mit großer spieltechnischer Konzentration.

 

Danach konnte man sieben frühe Lieder von Alban Berg mit der begabten Sopranistin Vera-Lotte Boecker hören. Diese Lieder sind seiner Frau Helene gewidmet, Dur- und Molltonarten herrschen im spätromantischen Gerüst noch weitgehend vor. Bei "Nacht" mit einem Text von Carl Hauptmann machten sich übermäßige Dreiklänge ebenso feingliedrig bemerkbar wie Halbtöne und die elektrisierend dargebotenen Spannungsakkorde des Dur-Moll-Systems. So gestaltete Vera-Lotte Boecker mit ausdrucksstarken Kantilenen einen immer größeren vokalen Raum, der auch an die späteren "Lulu"-Arien denken ließ. Hervorragend sang sie ebenso "Die Nachtigall" nach Theodor Storm, wo die Intervallspannungen in reizvoller Weise hervorblitzten. Man spürte auch bei den weiteren Liedern "Traumgekrönt" (Rainer Maria Rilke), "Liebesode" (Otto Erich Hartleben) oder "Sommertage" (Paul Hohenberg), dass Berg immer der sensible Romantiker blieb. Vera-Lotte Boecker gelang es wiederholt, die feinsten Schattierungen des Gefühls im Klang wiederzugeben.

 

Sehr expressiv gestalteten die Stuttgarter Philharmoniker dann drei Sätze aus der "Lyrischen Suite" von Alban Berg, wobei man spürte, wie stark sich Berg hier an Schönbergs Zwölftontechnik orientierte. Die beiden langsamen Sätze Andante amoroso und Adagio appassionato umschlossen den schnellen Satz Allegro misterioso in geheimnisvoller Weise. Gespenstische Stimmung machte sich breit, das Trio estatico flackerte wild auf. Nach diesem harmonisch spukhaften Geschehen brachte der Schlusssatz starke dynamische Steigerungen, die Gabriel Feltz mit den Stuttgarter Philharmonikern facettenreich auslotete.

 

Zuletzt folgte eine mitreissende Wiedergabe der Sinfonie Nr. 1 in c-Moll op. 68 von Johannes Brahms, wobei sich die Stuttgarter Philharmoniker unter Feltz bei den einzelnen Sätzen immer weiter steigerten. Über zwei Jahrzehnte hatte sich Brahms wegen Beethovens Schatten damit beschäftigt. Das Thema der Einleitung, Un poco sostenuto, stellte Gabriel Feltz als Dirigent mit ungewöhnlichen Tempi breit heraus. Mit schmerzlicher Gewalt drängten die beiden Linienzüge trotz des Rubatos auseinander. Übermenschlich mühsam arbeitete sich das Thema in stockenden Halbtonschritten in die Höhe, starre Schläge in den Bässen und der Pauke verkündeten ein machtvolles Ostinato. Die Halbtonschritte des Themas gerieten hier deutlich zum Baustein der Sinfonie. Mit dem ungeheuren Druck angestauter Kraft schleuderte das Hauptthema seine Energie heraus. Das zweite Thema wurde eindrucksvoll von den Oboen angestimmt. Gewaltig entwickelte sich die Durchführung. Trost und Frieden strahlte hier die Melodie des zweiten Andante-Satzes aus, die sich melancholisch unter dem Druck der Halbtonschritte bog. Die innige Bitte der Oboenmelodie überstrahlte alles. Friedlich-verträumt ließ Feltz den dritten Satz Un poco Allegretto e grazioso musizieren, dem die Holzbläser warme Farben gaben. Das Trio löste sich mit spielerisch-heiterer Grazie ab. Am besten gelang dann das Finale, das sich unter Feltz ebenfalls von einem starken harmonischen Druck befreite. Im milden Leuchten der Streicher ertönte ein naturhaftes und erdentrücktes Hornthema, dessen Klangzauber man sich nicht entziehen konnte. Ein Choral antwortete der Horn-Verheißung, wobei sogar Bruckner und Wagner spürbar blieben. Voller Tatendrang erklang das Hauptthema in Dur. Assoziationen zu Beethovens neunter Sinfonie blitzten ganz versteckt auf. Die Hauptgedanken dieses Satzes boten Seitenthemen auf, die sich mit aller Konsequenz entwickelten. Auch die Intonationsreinheit der Bläser war bemerkenswert. Alles lehnte sich gegen die schicksalhafte Macht der Halbtonschritte auf. Deswegen war dieser Satz so spannend und elektrisierend.

 

Viele "Bravo"-Rufe.

 

 

Copyright: Liederhalle Stuttgart, Beethovensaal

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