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ENERGIE WIE AUS DER CHAMPAGNERFLASCHE - Stuttgarter Philharmoniker in der Liederhalle Stuttgart

am 11.1.2024

Dmitri Schostakowitsch bildete den Schwerpunkt dieses gelungenen Orchesterkonzerts mit den Stuttgarter Philharmonikern, die in diesem Jahr ihren stolzen 100. Geburtstag feiern. Mit der pompös dargebotenen Festlichen Ouvertüre in A-Dur op. 96 von Schostakowitsch begann denn auch dieses Programm unter der inspirierenden Leitung des russischen Dirigenten Andrey Boreyko, der Schostakowitsch noch persönlich gekannt hat.

 

Copyright: Florian Selig, Liederhalle Stuttgart

Die einleitende Fanfare erinnerte mit ihrer unbändigen Energie tatsächlich  an eine "entkorkte Champagnerflasche", wie ein gewiefter Zeitgenosse bemerkte. Das Motiv stammt übrigens aus Schostakowitschs Klavierstücken für Kinder. Pizzicato-Effekte stachen reizvoll hervor.

Anschließend musizierte die ausgezeichnete koreanische Geigerin Hyeyoon Park (Preisträgerin des ARD-Musikwettbewerbs in München 2009) das Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur op. 19 von Sergej Prokofjew. Klarheit und Selbstsicherheit stachen dabei in verblüffender Weise hervor, garniert mit raffinierten Pizzicato-Passagen und strahlenden Dur-Farben, die in eine vielschichtige Harmonik eingebettet waren. All dies machte die Solistin in hervorragender Weise deutlich. Gebrochene Linien korrespondierten dabei mit marschartigen Episoden, wie sie für Prokofjew typisch sind. Auch die innere Unruhe der einzelnen Themen kam hier nicht zu kurz. Die glänzende Virtuosität der Auf- und Ab-Bewegungen der Violine sowie das wunderbar breite lyrische Thema des Andantino steigerte sich eindrucksvoll von kantabler Ruhe zu leidenschaftlichem Überschwang. Grotesk und buffonesk kam der zweite Satz Scherzo vivacissimo daher, dessen Melodiesprünge, rasanten Glissandi und erregten Flageolett-Passagen stark im Gedächtnis blieben.  

Nach der Pause war die Komposition "Fallout" des 1995 in China geborenen Komponisten Jialin Liu zu hören, der zurzeit in der Kompositionsklasse von Marco Stroppa an der Stuttgarter Musikhochschule studiert. Das Werk setzt sich sehr subtil mit den Auswirkungen des Einsatzes von Kernwaffentechnik auseinander. Die Form eines Lamentos wurde von den Stuttgarter Philharmonikern unter Andrey Boreyko sehr wirkungsvoll betont. Fragmentierte Klangstrukturen wurden hier immer intensiver herausgemeisselt. Glissandi, Tremoli und Timbrewechsel symbolisierten Staub und Partikel. Einmal waren sogar die a-Moll-Akkorde aus Schostakowitschs erster Sinfonie herauszuhören. Man will jungen Talenten ein Forum bieten. Deswegen haben die Stuttgarter Philharmoniker Studierende der Kompositionsklassen der Musikhochschulen in Stuttgart und  Freiburg beauftragt, für alle achtzehn Sinfoniekonzerte im Jubiläumsjahr ein "Minutenstück" zu schreiben.

Zum Abschluss musizierten die Stuttgarter Philharmoniker unter der anspornenden Leitung von Andrey Boreyko die Sinfonie Nr. 1 in f-Moll op. 10 von Dmitri Schostakowitsch. Es ist das verblüffende Werk eines knapp Zwanzigjährigen, der damit seine Abschlussarbeit am Petersburger Konservatorium präsentierte. Die Allegretto-Einleitung des ersten Satzes besaß hier etwas Ungestümes und Wildes, wobei sich das gesamte Themenmaterial dieser Sinfonie in geheimnisvoller Weise offenbarte. Die Durchführung verarbeitete erfinderisch die beiden innerlich verwandten Hauptthemen miteinander, ehe die Reprise die originale Walzermelodie wieder in Kraft setzte. Witz und Ironie zeichneten dann den zweiten Scherzo-Satz Allegro aus. Dem Gassenhauer wurde ein elegisches Flötenthema gegenübergestellt. Die kunstvolle Verarbeitung der beiden Themen kam in der Wiedergabe durch die Stuttgarter Philharmoniker unter Andrey Boreyko facettenreich zur Geltung. Beim dritten Lento-Satz entfaltete sich der breite lyrische Strom aus dem Thema der Oboe sehr effektvoll. Streicher und Holzläser begleiteten diese Weise - bis die Trompete machtvoll an das zweite Thema erinnerte. Nach dem Einsatz der Celli trat in imponierender Art das Finale hervor, dessen ausdrucksvolles Klarinettenthema sich tief einprägte. Temperamentvoller Schwung beherrschte auch den Part der Solovioline - und das Klarinettenthema  erschien schwebend in den Flöten. Die verhallenden harten Paukenschläge mündeten in ein hymnisches Schlussthema, dessen Energien sich immer mehr zusammenballten. Gelegentlich hörte man sogar Anklänge aus Schostakowitschs Oper "Lady Macbeth von Mzensk" heraus.

Für diese authentische Interpretation gab es im Beethovensaal "Bravo"-Rufe und lang anhaltenden Schlussapplaus.
 

 

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