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IN DIE NÄCHSTE DIMENSION KOMMEN - "Das Portal" von Nis-Momme Stockmann im Schauspielhaus Stuttgart

am 19.1.2024

Geschildert wird hier das groteske Drama des traditionsreichen Theaters Helios, das tatsächlich auf dem letzten Loch pfeift. Der von Sebastian Blomberg wandlungsfähig verkörperte Generalintendant Elias Geldoff kämpft verzweifelt um seine Vertragsverlängerung. Deswegen engagiert er einen erfolgreichen Jungregisseur, der mit dem "Portal" die Gunst der Lokalpolitik zurückgewinnen soll.

 

Copyright: Björn Klein

Dabei kommt es auf der Bühne zwischen einer gelb-blauen Kulisse, einem großen Klavierflügel und verschiedenen Utensilien zu erheblichen Turbulenzen, die der auch für die Bühne verantwortliche Regisseur Herbert Fritsch trotz einiger szenischer Abstriche recht wirkungsvoll in Szene setzt (Kostüme: Bettina Helmi). Da sieht man sogar den an Seilen hängenden Intendanten vorbeifliegen. Der von Sebastian Röhrle gewieft verkörperte Chefdramaturg Ivan Eisenstern verblüfft dabei mit kuriosen eigenen Plänen, die es in sich haben. Er plant einen Putsch, um das in seinen Augen fehlgeleitete Theater unter seine Führung zu bekommen. Aber so recht will dies nicht gelingen, denn der Generalintendant Geldoff entwischt diesen Plänen trotz des immer heftiger ausbrechenden Tohuwabohus mit Geschick. Seine Gegner verschwinden nämlich zuletzt in der Tonne. Diese Tour de Farce besitzt aber auch einige reizvolle Nebenschauplätze.

Natürlich denken alle Protagonisten nur an sich selbst, was Fritsch immer wieder virtuos herausarbeitet. Geldoff gerät immer mehr unter Druck - und so öffnet er das Portal in die Untiefen der dämonischen Dionysien. Theaterklischees werden mit Hilfe der griechischen Antike gehörig auf die Schippe genommen. Immer wieder startet Fritsch den burlesken Versuch einer Commedia dell'arte, die aber nicht so recht glücken will. Der verrückte Harlekin malträtiert das Klavier pausenlos, die Musik von Charlie Casanova plätschert zwischen Frederic Chopin und atonalen Sequenzen wie verrückt vor sich hin. Stromausfälle und Elektrizitätsprobleme heizen das ausufernde Geschehen immer weiter an. Herbert Fritsch möchte die verrückte Handlung virtuos in die nächste Dimension transportieren, was nicht immer gelingen will, aber zu komischen und absurden Situationen führt.

Im Hintergrund sieht man eine weiße Kugel, die wie ein Mond wirkt. Das Anarchische wird mit Hilfe von Metallplatten ausgesprochen komisch variiert. Das Problem der Aufführung ist nur, dass sie immer mehr ins Klamaukhafte und Absurde abdriftet. Es ist absurdes Theater, was man da zu sehen bekommt. Sebastian Blomberg brilliert durchaus in der Rolle des hysterischen Intendanten: "Die Menschen dieses Ortes sind das Arsen im Plätzchen..." Charlie Casanova rutscht als umtriebiger DHL-Bote auf der Bananenschale aus, was weitere Katastrophen natürlich nicht verhindert.

Die schauspielerischen Leistungen sind das Schmuckstück dieser zuweilen etwas sperrigen Inszenierung, die jedoch Lichtblicke kennt. Dafür sorgen nicht nur Michael Stiller als kauziger Pförtner Rudolf Böttcher, sondern auch Marco Massafra als überheblicher Autor Ricardo Cornwald (der nicht der Journalist für Geldoff sein will) und Peer Oscar Musinowski als Dramaturg Friedenach und Schauspieler  Ulrich Baader. Auch die Frauen sind stark besetzt. Marietta Meguid als Inspizient Burko, Gabriele Hintermaier als Regisseur Laszlo Arinach, Christiane Roßbach als aus der Rolle fallender Schauspieler Andreas M. Steeg und Celina Rongen als  furiose Schauspielerin Henriette Ullmann vervollständigen dieses Slapstick-Konglomerat. Hinzu kommen Valentin Richter als Regisseur Emre Kusburnu und Reinhard Mahlberg als Assistent, Obinori, Medium, Fresserin und ausdrucksstarker Tänzer Mandel.

Stellenweise begreift man, wie sehr in den 60er Jahren auf der Bühne gelitten wurde. Ansatzweise gibt es auch Passagen, die an das Welttheater Shakespeares erinnern.  Dafür sorgt der Monolog Geldoffs, der szenisch am besten gelungen ist. Man denkt unweigerlich an "Was ihr wollt" und "Wie es euch gefällt". Herbert Fritsch heizt den Spieltrieb seiner Darsteller mächtig an. Und weil der gerissene Intendant zuletzt überlebt, denkt man unweigerlich wieder an Shakespeares "Viel Lärm um nichts." Daran kann auch der simulierte Bühnenbrand nichts ändern. Geldoff führt einen schizophrenen Dialog mit einer roten Perücke, schlüpft plötzlich in zwei Rollen, betont gebetsmühlenartig, "dass unsere Autoren gefördert werden".

Er kommt zu dem Schluss, dass der Mensch ein Idiot ist. Trotzdem kommen hungrige Dämonen auf das Theater zumarschiert, sperren die armen Darsteller in den Käfig. Man fragt sich unweigerlich: "Ende gut, alles gut?" Starker Schlussapplaus, "Bravo"-Rufe.
 

 

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