Die Kameliendame, Marcel Prousts Baron de Charlus, Jacques Casanova, Lord Byron, Esmeralda und allen voran der altersschwache Ritter Don Quichotte suchen hier ihren Platz. In sechzehn Stationen führt Gutman sie durch die teils surrealen, fantastisch-traumgleichen Handlungsketten und steuert die Ereignisse. Wer zwischendurch auf der Strecke bleibt, wird weggekehrt. Wenig scheint wahrhaftig oder von Bedeutung zu sein, der Tod interessiert hier niemanden – und wer freiwillig gehen will, dem bleibt nur der Weg ins Nichts. Allein Kilroy, ein ehemaliger Boxchampion mit einem kranken, weil zu großen Herzen, sucht einen Ausweg. Doch nach und nach saugt der Ort ihn auf, bis der Champ – den Tod vor Augen – mit Don Quichotte weiterzieht.
„Camino Real“ ist ein Stück über das Älterwerden und den Tod. Vor allem aber ist es ein Stück über die Angst vor dem Altern, das nach der Würde des Alterns fragt und offenlegt, wie vergänglich das „Ich“ sein kann.
Tennessee Williams, geboren 1911 als Thomas Lanier Williams III in Columbus, Mississippi, wuchs als Sohn eines Schuhvertreters im Süden der USA, zunächst in Columbus, später in St. Louis auf und zählt heute zu den einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Schon früh entstanden erste Essays und Geschichten. Seine Familienverhältnisse und die Eindrücke des Südstaaten-Alltags verarbeitete Williams – ebenso wie Jahre später seine Zeit in New Orleans, seine Partnerschaften und seine zahlreichen Reisen – in vielen seiner Stücke. In Iowa beendete er 1938 sein Englischstudium, besuchte einige Dramaworkshops in New York und zog zunächst nach New Orleans. Hier nahm er auch seinen Künstlernamen Tennessee an (seine Familie entstammt den ersten Pionierfahrern in der Region Tennessee) und traf seinen späteren langjährigen Agenten Audrey Woods, der ihm zu einigen kleineren Veröffentlichungen und Aufträgen verhalf. Den Durchbruch erzielte Williams 1944 mit „Die Glasmenagerie“. Zwischen 1948 und 1959 schafften es allein sieben weitere seiner Stücke, darunter auch das 1953 uraufgeführte „Camino Real“, an den Broadway. Viele der Produktionen entstanden unter der Regie von Elia Kazan, mit dem Williams eine enge Arbeitsfreundschaft verband. Williams schrieb neben seinen Theaterstücken auch zahlreiche Novellen, Einakter, Drehbücher, Kurzgeschichten und Gedichte. Zahlreiche seiner wichtigsten Werke wurden (unter seinem Mitwirken) verfilmt. „Die Glasmenagerie“, „Endstation Sehnsucht“ oder „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ begründeten in der filmischen Umsetzung zusätzlich seinen Weltruhm, für die letztgenannten Stücke erhielt er 1948 und 1955 u. a. den Pulitzer Preis. Später häuften sich die Misserfolge und Williams arbeitete an einem Comeback. Den Erfolg der 50er sollte er aber nicht mehr erreichen. 1975 veröffentlichte er schließlich seine Memoiren. Er starb 1983 in New York.
Mit „Camino Real“ legt Williams schon früh einen Grundstein für die Postmoderne und liefert zugleich „ein vielstimmiges dramatisches Pendant zur Rausch-Literatur der Beatniks“. Über sein Stück schreibt der Autor 1953, dass es „nicht mehr und nicht weniger als meine Vorstellung von der Zeit und der Welt [ist], in der ich lebe.“ Der Titel, spanisch für „Königsweg“, bezieht sich zum einen auf die knapp 1000 km lange Missionsstraße in Kalifornien, „Camino Real“ genannt, zum anderen lässt Williams im Stück auch den doppelten Gehalt der Formulierung anklingen – zwischen „Königsweg“ und „Weg der Wirklichkeit“, wie „Camino Real“ auch übersetzt werden kann, siedelt er seine Traumsequenzen an. Bei Williams geraten die Pilgerwege, auf die er im Titel anspielt, zu einem erbärmlichen Fleck Erde. Nichts scheint mehr von Bedeutung zu sein. Das Vergessen dominiert und kulminiert in einem überbordenden, surrealen (Alp-)Traum. Dem setzt Williams seine Figuren aus, zeigt ihren seelisch-moralischen Verfall und beschreibt allegorisch den Kreislauf eines Lebens, dem niemand entrinnen kann. „Nächstenliebe“ ist hier kein humanitäres Anliegen mehr, sondern lediglich ein Wort des Aufruhrs. Wer hatte, dem bleibt doch nichts, wenn er die Vergangenheit und seine Träume verliert. Und doch umkreisen Williams Figuren rastlos und voller Hoffnung auf der Suche nach gemeinsamer Nähe und Gefühlen romantische Themenwelten – Liebe, Mitgefühl, Freiheit, Hoffnung, ebenso wie Hoffnungslosigkeit, die, gepaart mit der Ohnmacht gegenüber der Zeit und dem Alter, als Eintrittskarte in Gutmans Reich dient.
Aus dem Englischen von Jörn van Dyck
Zusammenarbeit des Schauspiels Chemnitz, des Balletts Chemnitz und des Figurentheaters Chemnitz
Regie: Carsten Knödler
Bühne und Kostüme: Ricarda Knödler
Choreografie: Sabrina Sadowska
Musik: Steffan Claußner
Puppencoach: Gundula Hoffmann
Puppenbau: Atif Hussein
Mit:
Magda Decker, Christine Gabsch, Susanne Stein, Muriel Wenger; Wolfgang Adam, Steffan Claußner, Dominik Förtsch, Philipp Otto, Christoph Radakovits, Philipp von Schön-Angerer, Martin Valdeig (Schauspielensemble)
Sophie Bartels; Arne van Dorsten (Figurentheaterensemble)
Mu-Yi Chen, Isabel Dohmhardt, Helena Gläser, Tarah Malaika Pfeiffer; André Luiz Costa/Ivan Cheranev, Leonardo Fonseca, Norbert Kegel, Adrian J. Wanliss (Ballettensemble)
Die nächsten Vorstellungen sind am 3., 4. und 13. Juni, jeweils 19.30 Uhr.