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Maison de Santé

Einladung zur feinen Gesellschaft

frei nach Edgar Allan Poe’s Erzählung "Die Methode Dr. Thaer & Prof. Fedders"

 

Koproduktion TACHELES, Berlin mit dem Theater THIKWA

 

Eine Reise ins Glück

Vollkommener Abend: "Maison de Santé" im Tacheles

Von Cosima Lutz

 

Mildes mediterranes Licht scheint auf den Mauern des Tacheles zu tanzen. Ein Berliner Medizinstudent (Patrick von Blume) und mit ihm die Zuschauer reisen 1830 nach Südfrankreich, um ein modern geführtes Irrenhaus zu besuchen. "Maison de Santé - Einladung zur feinen Gesellschaft" nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe spiegelt in einer Koproduktion des "Theaters zum westlichen Stadthirschen" und dem "Theater Thikwa" das übliche Hinterfragen der Zuschreibungen von "irr" und "normal" gleich mehrfach: Schauspieler spielen Verrückte, die "Normale" spielen; Behinderte spielen "Normale", die vielleicht doch verrückt sind. Wo andere Theaterarbeiten dieser Art aufhören, fängt es hier erst an: Was im Tacheles passiert, ist die totale Kunst.

 

Bevor der Gast die Einrichtung zu sehen bekommt, wird er vom Direktor (Dominik Bender) zum Diner geladen, einem karnevalesken Mahl mit hoher Balladenkunst und ungehobeltem Bänkelsang: "Hier tanzt das einfache Volk mit der feinen Gesellschaft." Der Gast ist das alter ego des Zuschauers, der es ganz genau wissen will - bis er durchdreht. Immer alles schön rauslassen, beruhigt ihn Prinzessin Annabelle (Heidi Bruck). Der Menschenversteher wird zum medizinischen Fall.

 

Verwoben mit Texten und Liedern der Spieler, gerät Poes Erzählung in feinere Schwingungen, als soziale Nachdenklichkeit es fassen würde. Von der subtilen Lichtregie über das aufbrandende Stimmenchaos bis hin zu den leisen, vornehmen Dienern (Jonny Chambilla, Ronny Dollase) fällt nichts heraus aus diesem Stück um Freiheit und Kontrolle. Werner Gerbers Regiearbeit und Benders Rolle als autoritär-respektvoller "primus inter pares" bekennen sich nicht wohlfeil zur Souveränität der Behinderten; sie stehen und fallen mit den Denk-Bewegungen aller ihrer Künstler. Dies ist nicht erstaunlich, sondern zutiefst schön: Nicht nur zur Einsicht, daß die Grenzen zwischen "Wahn" und "Sinn" willkürlich sind, nein: zum "Genießen" will der Direktor seinen Gast bewegen.

 

Der grübelnde Reisende muß es am Ende allein aushalten mit seinen Albträumen; der gestärkte Zuschauer aber, der sich dem Genuß dieser genialen Arbeit anvertraut, erlebt einen Theaterabend vollkommenen Glücks. Berliner Morgenpost, 24.1.2005

 

 

 

 

 

Wer hat die Macht zu entscheiden, was als normal gilt und was als verrückt? Ob jemand zu den Patienten oder zum Personal in der Psychiatrie gehört, kann ein Zufall seiner Lebensgeschichte sein. Was passiert, wenn die Patienten dem Zufall ein bisschen nachhelfen? Schauspieler mit und ohne offiziell anerkannte Behinderungen konfrontieren sich und das Publikum mit der Neugier und den Ängsten vor dem jeweils Anderen.

 

 

Ausgangspunkt der Inszenierung ist eine Geschichte von E. A. Poe: Im Jahr 1830 reist ein junger Medizinstudent aus Berlin auf der Suche nach fortschrittlichen Methoden der Behandlung von „Geisteskranken“ nach Südfrankreich, um ein modern geführtes Irrenhaus zu besuchen. Anders als an der Charité, wo die Patienten noch mit alten, brachialen Foltermethoden gequält werden, soll hier in einem abgelegenen Château nach der Revolution die berühmte Humane Methode aus England angewandt werden. Der Direktor Dr. Maillard bittet den weitgereisten Gast zu einem noblen Diner, zu dem die vornehme Gesellschaft eingeladen ist, bevor er ihm am nächsten Tag die Einrichtung zeigen will...

 

 

Die Inszenierung untersucht existentielle Grundfragen nach Würde und Wert des Menschen und deren Abhängigkeit vom Urteil der Gesellschaft. Sie spielt mit dem voyeuristischen Blick von außen auf ein ungewöhnliches Szenario der Verstellung. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität werden durchlässig, verschiedene Facetten von Irritation sichtbar. Zu erwarten ist eine Theateraufführung, die jeden Abend unvorhersehbar anders verlaufen dürfte.

 

 

 

MIT: Anna-Katharina Andrees, Dominik Bender, Patrick von Blume, Heidi Bruck, Jonny Chambilla, Ronny Dollase, Thorsten Eisermann, Wolfgang Fliege, Torsten Holzapfel, Janette Lange, Almut Lücke-Mündörfer, Vincent Martinez, Peter Pankow, Tim Petersen und Roland Strehlke

 

 

 

REGIE & FASSUNG: Werner Gerber

 

BÜHNE: Isolde Wittke

 

KOSTÜME: Ulv Jakobsen

 

LICHT: Urs Hildbrand

 

DRAMATURGIE: Anke Mo Schäfer

 

MEDIENARBEIT: ARTEFAKT Kulturkonzepte & Antje Grabenhorst

 

KONZEPTIONELLE BEGLEITUNG: Gerlinde Altenmüller

 

PRODUKTIONSLEITUNG: Klaus Altenmüller, Dominik Bender

 

ORT: „Goldener Saal“ im TACHELES, Oranienburger Str. 54-56, Berlin-Mitte

Aufzug und barrierefreies WC vorhanden

S-Bhf.: Oranienburger Straße - U-Bhf.: Oranienburger Tor

 

31. März bis 10. April, donnerstags - sonntags, 20 Uhr

 

Karten: 14 €, erm. 8 €

 

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