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"Das Erdbeben in Chili" von Heinrich von Kleist im Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Premiere 24. Februar 2011, 21.00 Uhr, Unterbühne Großes Haus

(Treffpunkt: Kassenhalle)

Auch unter den Brettern, die die Welt bedeuten, ist Leben. Da lagert manches, das irgendwann auf der Bühne zum Einsatz kommt, Akteure warten auf ihren Auftritt durch die Bodenluken, ganze Wände und Podien können hin- und her und hoch- und runtergefahren werden.

Abends, wenn die Zuschauer das Theater verlassen haben, auf der Bühne wieder alles an Ort und Stelle ist, und die Lichter verloschen sind, kehrt auch dort Ruhe ein. Oder auch nicht, denn wir haben einen neuen Spielort entdeckt. Mit Heinrich von Kleists erster Novelle von 1806 laden wir Sie erstmals zu einem Theatererlebnis in die Unterbühne des Hessischen Staatstheaters ein. Bitte beachten Sie, dass es aufgrund des besonderen Bühnenortes nur eine begrenzte Zuschauerzahl Platz findet.

In St. Jago, der Hauptstadt des Reiches Chili, bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Erde bebt, und mit ihr das veraltete und verkrustete Gefüge eines autoritären Staates. Zerquetscht liegen die alten Machthaber, die Diktatoren aus Kirche und Adel, unter dem Schutt der Gebäude. Auf den Hügeln oberhalb der Stadt entsteht für kurze Zeit ein Utopia, eine Solidargemeinschaft jenseits aller Schranken und Klassen. Die Überlebenden finden sich dort und helfen einander ungeachtet ihrer Herkunft oder Religion. Auch Josephe und Jeronimo finden hier einen seligen Ort des Friedens, denn was andern den Tod brachte, gab ihnen das Leben. In St. Jago waren sie ihrer heimlichen Liebe wegen verfolgt und verurteilt worden. Josephe, die als Klosterschülerin den Sohn Philippe gebar, wurde zum Tode verurteilt. Jeronimo hatte eine Gefängnisstrafe zu verbüßen und bereitete sich angesichts der nahenden Hinrichtung seiner Geliebten auf den Freitod vor. Dann brach die Apokalypse herein, und wie durch ein Gottesurteil entgingen alle drei ihrem grausamen Schicksal.

Ihr Glück scheint vollkommen. Zwischen Flüchtenden und Verletzten fanden sie einander, ruhen jetzt aus inmitten all der Not und planen ihre Flucht an die Küste und übers Meer. Da läuten aus der Stadt die Glocken, der Dom ruft die Geretteten zum Dankesgebet. Und weil ihnen hier die Erde wie ein Paradies erscheint, weil endlich Menschlichkeit und Empathie regieren, vergessen Josephe und Jeronimo alle Vorsicht und schließen sich denen an, die zurück an den Ort des Grauens streben. Unten, in der Hölle von St. Jago, sind die alten Mächte schon wieder am Werk. Kaum hat das Paar den Dom betreten, hört es eine Hetzpredigt gegen die angebliche Schande seiner Liebe. Und diesmal entkommen die beiden nicht. Ein aufgebrachter Mob massakriert sie und alle, die ihnen zu helfen versuchen. Mit ihnen vergeht die Hoffnung auf ein Dasein in einer humanen und gerechten Welt. Die Utopie stirbt, noch ehe sie recht leben konnte.

Heinrich von Kleist schrieb seine Novelle im Jahr 1806 als deutliche Metapher auf das Scheitern der Französischen Revolution. Die Frage nach der Möglichkeit einer freien und friedlichen Existenz beantwortet er mit einem Nein, wie es konsequenter nicht sein könnte. Stattdessen zeichnet er das Bild einer verrohten, ja vertierten Menschheit, die zu unvorstellbarer Brutalität in der Lage ist. Zweihundert Jahre sind seitdem vergangen, wir befinden uns im Zeitalter der Moderne und halten uns für aufgeklärt. Was aber passiert, wenn wir einer extremen, vielleicht lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt sind? Wenn es nur noch darum geht, sich selbst zu retten? Drei Schauspieler begeben sich in die Unterwelt und erforschen mit Heinrich von Kleist die dunklen Seiten unserer Existenz.

Inszenierung Tilman Gersch

Raumkonzept Dominik Scheiermann

Kostüme Brigitte Lorenian

Dramaturgie Barbara Wendland

Mit: Michael von Bennigsen, Sybille Weiser, Jörg Zirnstein

Weiterere Termine

Mi, 2.3. und Mi, 23.3, jeweils 21.00 Uhr, Unterbühne Großes Haus, Treffpunkt: Kassenhalle

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