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Ein Feuerwerk der Fantasie - Franziska

Stefan Bachmann inszeniert Wedekinds Spätwerk am Theater Basel

Das Theater Basel hatte in letzter Zeit Glück bei der Wahl seiner Intendanten. Frank Baumbauer bescherte der Bühne vor Jahren eine Blütezeit, die im ganzen deutschen Sprachgebiet akklamiert wurde. Nach seinem Abschied von Basel ging er nach Hamburg und wurde der seit Gründgens erfolgreichste Prinzipal des Deutschen Schauspielhauses. Jetzt wirkt er als Chef der Münchner Kammerspiele.

Sein Nachfolger in Basel, Michael Schindhelm, ist ein ausgesprochen starkes Nachwuchsführungstalent aus den neuen Bundesländern. Er kam aus dem bescheiden dotierten Theater Gera, und auch er verhilft dem Basler Theater nach einer schwierigen Anfangsphase zu geradezu glanzvoller Qualität und Berühmtheit. 1999/2000 wurde es von der Theaterzeitschrift 'Theater heute' zum Theater des Jahres gewählt, mit Recht, denn was dort gezeigt wird, könnte das verwöhnteste Großstadtpublikum von den Sitzen reißen.

Ich stellte das wieder einmal mit allergrößter Freude fest, als ich 'Franziska' von Frank Wedekind sah. Eigentlich ein monströses, sperriges, fast unspielbares Stück.

Wedekind, der große alternde Dichter, Rebell und Bürgerschreck, ließ 1912 in dieser grellen Faust-Travestie seine großen Themen noch einmal Revue passieren:

Kunst und Mammon, Pubertät und Weltverbesserertum, Frausein im Allgemeinen und Besonderen, Glanz und Elend der Halbwelt. Seine Faustfigur ist eine neugierige Kindfrau. Sie verbindet sich mit einem dämonisch angehauchten Abenteurer und Konzertagenten, der nicht nur ihre Showtalente zum Glitzern bringen, sondern ihr auch ein Leben voller Freiheit und Genuß bescheren will. Es folgt ein wilder Parcours durch alle Höhen und Tiefen wilhelminischer Lustfantasien, der in eine allgemeine Ratlosigkeit, eine Entfremdung, ja eine Art religiöser Entrückung mündet.

Dieses Szenengestrüpp zu bewältigen, bedeutet für jeden Regisseur eine Herausforderung. Stefan Bachmann entzündet daran, zusammen mit der genialen Bühnenbildnerin Bettina Meyer, der originellen Kostümbildnerin Annabel Witt, zusammen mit den hochmotivierten Darstellern eine schier unerschöpfliche Fantasie. Das glitzernde Feuerwerk seiner Einfälle ist unbeschreibbar. Er bleibt immer ganz beim Stück, und er ufert immer weit über das Stück hinaus. Sein Zugriff auf die leicht angestaubte Provozierschmonzette ist so frisch und jung und heutig, dass wir Zuschauer unsere eigenen Moden und Lüste, unsere Schwächen und Sünden unmittelbar wiedererkennen. Wir sitzen atemlos da und gleiten von einem Glanzpunkt zum anderen. Bravo!

P.S. Leider ist jede Theaterglückszeit so zerbrechlich wie Kristallglas. Vor ein paar Wochen wurde in der Gauck-Behörde eine Akte gefunden, aus der hervorgeht, dass der Basler Theaterchef Schindhelm während seines Chemie-Studiums in der Sowjetunion 1984 mit der DDR-Staatssicherheit einen Vertrag als Informant abschloss. Unter Druck, wie er sagt. Er hatte die Aufgabe, seine ausländischen Freunde zu bespitzeln.

Er beteuert zwar, dass er zur Mitarbeit genötigt wurde, und dass niemand durch ihn zu Schaden gekommen sei, dass er im Gegenteil seine Freunde von der Erpressung unterrichtet habe. Aber schon wird da und dort in der rechtschaffenen, verschonten Schweiz der Ruf nach seiner Absetzung laut.

Dem Theater wäre es zu wünschen, dass hier Gnade vor Recht erginge. Ganz im Sinn von Wedekind, der die Jugendsünden in die schöpferische Gestaltung einbezog.

Stefan Bachmanns Inszenierung von Frank Wedekinds Spätwerk Franziska am Theater Basel Premiere 18. November 2000

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