Weil er die Grenzen der Wissenschaft nicht sprengen kann, will er diese letzte überschreiten. Faust, der Mann mit den zwei Seelen, wird zum Objekt im Spiel der Mächte. Gott und Teufel schließen eine Wette ab – ist er noch zu retten oder längst für den Himmel verloren?
Mephisto erscheint, und Faust ist das recht, denn nun erhofft er sich das Ende seines irdischen Leidens. Eine zweite Wette gilt: Wird er zum Augenblicke sagen „Verweile doch, du bist so schön“, dann hat er endlich zu sich gefunden, dann kann der Rest die Hölle sein. Bei dem jungen, unbedarften Gretchen sucht Faust die vollkommene Erfüllung. Seine unbändige Gier ist Gretchens Tod. Er vernichtet dieses Geschöpf, das, so ganz anders als er, die Gabe hat, eins mit sich selbst zu sein.
Tilman Gersch, Regisseur und Mitglied der Schauspielleitung am Staatstheater Wiesbaden, hat sich in der Spielzeit 2010/2011 vor allem der zeitgenössischen Dramatik gewidmet: der Erstaufführung „Der Turm“ nach dem Roman von Uwe Tellkamp und der Uraufführung „Das wollt ihr nicht wirklich“ von Bettina Erasmy. Zur Eröffnung der neuen Schauspielsaison setzt er sich im Großen Haus mit einem, wenn nicht sogar dem Hauptwerk der deutschen Klassik auseinander.
Faust wird in Tilman Gerschs Inszenierung von zwei Darstellern gespielt: von Rainer Kühn und – in der „Hexenküche“ verjüngt – von dem neuen Ensemblemitglied Nils Kreutinger, der soeben seinen Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main abschloss. Auch Mephisto wird von zwei Schauspielern gespielt: Uwe Kraus und – ebenfalls ein Neuzugang – Viola Pobitschka, die vom Düsseldorfer Ensemble nach Wiesbaden kommt.
In keinem anderen Drama der Weltliteratur wird die Conditio Humana so umfassend befragt wie in Goethes „Faust“. 1808 schloss Johann Wolfgang von Goethe den ersten Teil der Tragödie ab, nach mehr als dreißig Jahren Arbeit daran. Inspiration fand er in der uralten Sage vom Doktor Faustus, und so vereinigt die ganze Fülle dieses Schauspiels mittelalterliche Motive mit aufklärerischem Gedankengut. Neben der Faszination am Transzendentalen treibt Faust die Suche nach Erkenntnis, der Forschungsdrang des aufgeklärten, des modernen Menschen, und damit berührt Goethes Text ethische Aspekte, die uns heute mehr denn je beschäftigen. Und er stellt die älteste aller Fragen: Was ist Glück?
Inszenierung Tilman Gersch
Bühne und Kostüme Henrike Engel
Musik Bernd Jestram
Dramaturgie Anika Bárdos
Mit Rainer Kühn und Nils Kreutinger (Faust), Uwe Kraus und Viola Pobitschka (Mephisto), Verena Güntner (Margarete), Monika Kroll (Marthe), Wolfgang Böhm (Wagner / Altmayer), Tobias Randel (Valentin / Brandner), Benjamin Krämer-Jenster (Der Herr / Frosch / Kater), Martin Müller (Hexe / Siebel), Ensemble (Engel, Erdgeist, Volk, Tiere, Hexen, Irrlichter, Geister) und Zygmunt Apostol