Hier öffnet sich das Gesellschaftspanoptikum eine durch den nuklearen Nihilismus des Kalten Krieges und Konsumismus der Kohl-Ära imprägnierten Generation, für die Vergangenheit und Zukunft dimensionslos geworden und in
einem Punkt zusammengestürzt sind: «Jahre sind Müllsäcke, die nach Silvester abgeholt werden.» (Sloterdijk) Es ist vor allem die Abwesenheit, die diese schaurig-komische und dabei gleichzeitig melancholische Atmosphäre über das Erwachsenwerden in den 80ern erzeugt. Abwesenheit von Perspektive, von Lebenssinn, von Geschichte. Der von Akne, Vorstadttristes und Depressionen gezeichnete Anti-Held Heinz trotzt seinem Schicksal durch Witz und Ironie. Mit nicht geringer musikalischer Begabung ausgestattet, landet der talentierte Saxophonist bei einer Coverband namens Tiffanys und
fristet sein Dasein von nun an auf Schützenvereinsfeiern, Scheunenfesten, Silvesterpartys — immer den Blick von der Bühne auf die Niederungen einer Alkohol getränkten Spaßgesellschaft gerichtet. ‚Wes Brot ich ess, des Lied ich spiel’: Wenn die Menge zum zehnten Mal an einem Abend von dem Mucker An der Nordseeküste fordert, hallt ein absurder Gedanke wider: unsere Existenz ist nichts als gecovert. Zum Glück bleibt am Grunde dieser Büchse der Pandora für Heinz eines zurück: nicht die Hoffnung, aber unverwüstlicher Humor… und natürlich die Musik, mit der das Land nicht nur geographisch
durchmessen wird: Von plattdeutschen Strand bis nach Kufstein. Für uns eine Bestätigung von Gottfried Benns Diktum, «ein Schlager von Rang ist mehr…/ als 500 Seiten Kulturkrise.»
Für die aus Polen stammende Regisseurin Iwona Jera ist Fleisch ist mein Gemüse ein Wunschkonzert. Ihre Inszenierungen am Theater Erlangen (Gretel und Hänsel, Witold Gombrowicz’ Iwona, Prinzessin aus Burgund, Heinrich Leopold Wagners Die Kindermörderin) und am Staatstheater Nürnberg (Hilfe, mein Geld ist weg) verbinden Elemente des grotesken polnischen Theaters mit einer eigenwilligen theatralen Bildsprache und sind stets rhythmisch-musikalisch durchkomponiert. Sie, die 1984 aus Polen ausreiste, wird einen Blick aus einer ganz anderen Perspektive auf dieses Jahrzehnt werfen.
Inszenierung: Iwona Jera
Bühne: Sandra Linde
Kostüme: Dorien Thomsen
Musik: N.N.
Dramaturgie: Sven Kleine
Mit: Daniel Breitfelder, An Kuohn, Andreas Ramstein, Lutz Wessel und Schauspielschüler / Innen der Schule des Theaters im „Theater der Keller“, Köln. Koproduktion mit der „Schule des Theaters“ im „Theater der Keller“, Köln
Die nächste Vorstellung ist am 31. Januar 2010 im KLEINEN SCHAUSPIELHAUS