Nachts sitzt sie am Computer und schreibt für ein Auktionshaus profane Katalogtexte über Gemälde. Doch die Gedanken schweifen ab und Anna zieht Bilanz über gescheiterte Beziehungen, zerbrochene Lebens- und Karrierepläne. Es hat mir nichts gebracht, alles eigentlich richtig gemacht zu haben, ist ihr ernüchterndes Resümee. Doch was ist eigentlich schief gelaufen? Warum ist es nicht mehr möglich, etwas aufzubauen, was zählt? Völlige Haltlosigkeit ist Annas Dauerzustand; der Sozialstaat bietet kein Sicherheitsnetz mehr; die vielzitierte Chancengleichheit ist nichts als eine leere Worthülse und aussichtslos ist auch der Versuch, Halt in der Liebe, zu finden, wenn man von den Männern nur als Sekretärin benutzt wird.
Das Einzige, was Annas Beziehung ihr eingebracht hat, ist eine Lücke in ihrem Lebenslauf, dank derer sie keine Festanstellung bekommt. Wie einfach war doch früher alles, in der Generation ihrer Großmutter: Für jede Lebenslage gab es nicht nur einen passenden Spruch, sondern Familie und Religion boten Halt. Könnte man nur dorthin zurückkehren, dann wäre man sie endlich los, diese (Gott)verlassenheit.
Mangelndes Selbstwertgefühl, Scham, Liebesunfähigkeit – das hängt alles zusammen in unserer
kapitaldominierten Welt, das eine bedingt das andere und hat erhebliche Auswirkungen auf die Psyche.
(Christoph Nußbaumeder)
Christoph Nußbaumeder
geboren 1978 in Eggenfelden/Niederbayern, lebt in Berlin. Nach Abitur und Zivildienst Fabrikarbeit
bei einem Automobilhersteller in Pretoria/Südafrika. Studium der Rechtswissenschaften, Germanistik und Geschichte in Berlin. Diverse Assistenzen im Film- und Theaterbereich. 2001 entstand das filmische
Portrait Nach der Jagd. Szenen. über den Schauspieler und Dramatiker Martin Sperr. In der Spielzeit
2007/08 Hausautor am Nationaltheater Mannheim. Juli/August 2005 International Residency for
Emerging Playwrights am Royal Court Theatre in London. Stücke u.a.: Mindlfinger Goldquell oder Wir
scheißen auf die Ordnung der Welt (UA 2006, Landestheater Linz), Liebe ist nur eine Möglichkeit (UA
2006, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin), Offene Türen (UA 2007, Nationaltheater Mannheim), Ich
werde nicht sterben/ In meinem Bett (UA 2007, Schauspielhaus Bochum), Jetzt und in Ewigkeit (UA
2007, Nationaltheater Mannheim), Mörder-Variationen (UA 2008, Bühnen der Stadt Köln), Terminator (UA 2009, Schauspiel Essen), Die Kunst des Fallens (UA 2010, Bühnen der Stadt Köln), Eisenstein (UA
2010, Kammerspiele des Schauspielhaus Bochum). Auszeichnungen u.a.: 2004 Thomas-Bernhard-
Stipendium des Landestheaters Linz, 2004 Preis des Stückewettbewerbs der Berliner Schaubühne für das Stück Mit dem Gurkenflieger in die Südsee (UA 2005 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen in einer Produktion des Landestheaters Linz). 2005 Nominierung für den Theaterpreis Nestroy in der Kategorie „Bester Nachwuchs“, 2010 Autorenpreis des KunstSalon Köln.
Mit
Anna Katja Kolm
Regie: Daniela Kranz