Als die Mutter stirbt, macht sich Parsifal auf den Weg: ein Weltensuchender, Weltenzerstörer und Weltenschöpfer auf der Jagd nach einem Prinzip, einem sinnstiftenden Zusammenhang, einer Aufgabe, einem Gott. Zugleich schwindet die Kraft der Gralsgesellschaft: Ihrem Anführer König Amfortas wurde in einem Moment der Schwäche durch die Verführung der rätselhaft-schönen Kundry von seinem Gegenspieler Klingsor eine gefährliche Wunde beigebracht. Zwar bleibt Amfortas durch die regelmäßige Enthüllung des Heiligen Grals am Leben, die Wunde des Königs verheilt jedoch nicht, bricht immer wieder auf. Die Situation scheint ausweglos. Doch da betritt Parsifal die Bildfläche…
Ein junger Mann ohne gültiges Leitbild in einer patriarchalisch geprägten Welt macht sich auf die Suche nach einem Ordnungsprinzip und findet: die Gralsgemeinschaft – eine Gruppe zutiefst diszipliniert-religiöser Männer, die sich einem besonderen Kodex verschrieben haben. Heute scheint eine neue Generation von Parsifals heranzuwachsen, verzweifelt auf der Suche nach einem Wertesystem, mit dessen Hilfe sich die Welt in richtig/falsch, gut/böse und konsequent-radikal/inkonsequent-verweichlicht unterteilen lässt.
Vor diesem Hintergrund liest sich Richard Wagners 1882 uraufgeführtes Bühnenweih-festspiel wie eine übersteigerte Fantasie. Mehr noch: wie eine Welt, erbaut, um der Entfremdung von der realen zu trotzen, und als Ausdruck des Wunsches, der „Eine“ zu werden, der die ins Chaos gestürzte globalisierte Welt erlösen und das Leiden abschaffen wird. Wagners auf drei Akte verdichtete Version des Mythos gestaltet Parsifal zum „reinen Toren“, zu einer Imitatio Christi, befähigt, der leidenden Gralsgesellschaft die verlorene Reliquie des heiligen Speers, vor allem aber den Glauben und die Stärke ihrer Prinzipien zurück zu bringen.
Und während in Wagners Musik Rausch und Verklärung zur „ungeheuerlichen Schmerzensausdruckskraft“ (Thomas Mann) werden, geht Tankred Dorsts „Parzival“ gut 100 Jahre später einen ganz anderen, ebenso schmerzensreichen Weg, der in den Rausch des Tötens und der Zerstörung führt und dem Dorst „bis nach Stalingrad und auf den Himalaya“ folgt.
Die Inszenierung übernimmt Regisseur Gustav Rueb, der in der vergangenen Spielzeit die Deutschsprachige Erstaufführung „Frankenstein“ auf die Grillo-Bühne gebracht hat.
Musikalische Leitung: Eric Schaefer.
Live-Musik-Installation: John-Dennis Renken.
Es spielen Axel Holst, Philipp Noack (Parsifal), Janina Sachau, Sven Seeburg, Rezo Tschchikwischwili und Jens Winterstein. Bühne: Florian Barth; Kostüme: Dorothee Joisten; Dramaturgie: Florian Heller.
Die Inszenierung am Schauspiel Essen wird gefördert von der Kulturstiftung Essen.