Der Prolog vermittelt ironisch die Quintessenz des Romans:
Ein grosser Herr ist in Schwierigkeiten geraten und muss auf seinen bisherigen Aufwand verzichten. [...] Am Schluss muss er, der sich nicht freiwillig den Strapazen unterzogen hat, gestehen: die Reise war lang, aber es hat sich gelohnt. [...] Nebenbei die Geschichte eines Gewaltherrschers, der sich gottähnlich vorkommt, er wird durch den Spass und das Elend unseres Daseins gejagt, sein Aufstieg zu einem armen Menschen.
Im Zentrum steht der babylonische Gott Marduk, der als Repräsentant einer verrotteten Gesellschaft erscheint. Er wird zur Strafe für seine Faulheit und Korruption aus dem Olymp in die irdische Wirklichkeit verstossen. Unter dem Namen Konrad tritt er eine Irrfahrt durch die Welt an und muss dabei verschiedene Stufen der Menschwerdung durchlaufen. Auf seinem Bussgang begleitet ihn der mephistophelische Georg, der ihm noch vor Reiseantritt droht: „Du Untier der Gewalt, dein Hochmut soll gefällt werden!“
Trotz neuer Erfahrungen und aufregender Entdeckungen behagt dem Babylonier Konrad das „Emigrantendasein“ jedoch gar nicht. Ueber viele Stationen, von denen einige mit Döblins eigenem Fluchtweg übereinstimmen, gelangt er nach einer schier endlosen Kette tragikomischer Episoden und erotischer Abenteuer schliesslich zur Erkenntnis seines eigenen Grössenwahns und zur Verwerfung seines früheren Gewaltmenschentums.
In der „Schicksalsreise“ erinnert sich Döblin an die Entstehungsumstände seines Romans:
In mir setzte sich 1932 ein merkwürdiges Bild fest [...]: ein uralter, verschimmelter Gott verlässt vor dem Eintritt der letzten Verwesung seinen himmlischen Wohnsitz; ein düsterer Strafbefehl, dem er sich nicht entziehen kann, zwingst ihn auf die Erde herunter. Er soll büssen für seine alten Sünden. [...] Was war das? Es wurde mir erst beim Schreiben dieser babylonischen Wanderung klar: Es war das Gefühl meiner eigenen verlorenen Situation. Es war das Gefühl von Schuld, vieler Schuld, grosser Schuld [...] Es wurde ein Befehl zum Aufbruch ... Es war die Vorwegnahme des Exils [...].
Die eigenwillige Komik der „Babylonischen Wandrung“, schillernd zwischen feinsinniger Ironie, grobem Zynismus und platter Clownerie, sowie die kolportagehafte Mischung historischer und literarischer Versatzstücke irritieren bis heute.
Den Regisseur Manfred Ferrari fasziniert an Döblins Mythenparodie zum einen die Idee der Menschwerdung des babylonischen Gottes durch die Erfahrungen des irdischen Lebens, durch das Glück und den Verlust einer irdischen Liebe. Zum zweiten liegt sein Hauptaugenmerk bei der Bühnenvorlage auf der Bussverweigerung dieses gefallenen Titanen Konrad, auf dessen Weigerung, seine Schuld zu erkennen und dafür zu büssen. Döblins Roman hatte anfänglich den Arbeitstitel „Konrad, der nicht büssen will“. Ferraris Fassung extrahiert aus dem über 650seitigen Roman eine Szenenfolge, die sich verknappt und präzise an einigen Motiven der allegorischen Burleske orientiert. Durch einen Fluch vertrieben aus der Geborgenheit eines bis anhin einigermassen funktionierenden Himmels in die gänzliche Unbehaustheit des irdischen Daseins, erlebt der Gott Marduk alias Konrad das Leben auf der Erde. Er, der Fühllose und Selbstgerechte, den weder Krieg noch Not berühren, wird letztendlich durch das Wunder der Liebe bezwungen.
Mit: Eveline Ratering, Doris Strütt, Marco Luca Castelli, Frank Gerber, Thomas Luz, Markus Mathis, Axel Röhrle
Regie/Fassung : Manfred Ferrari – Musik/Komposition: Frank Gerber – Bühne/Licht: Nino Kündig – Kostüme: Barbara Mens – Maske: Andrea Casparis – Licht/Technik: Roger Stieger – Regieassistenz: Magdalena Nadolska, Helene Hunziker – Kostümassistenz: Lorena Lopez - Bühnenbau: Rémy Bloch – Dramaturgische Begleitung: Hildegard Kraus – Produktionsleitung: Gabi Bernetta
weitere Vorstellungstermine: 18./19./22./25. und 26. November 20 Uhr Koproduktion: Theater Chur und ressort k
Aufführungsrechte: Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH Berlin