Wahnsinn und Ausgrenzung werden als sich spiegelnde Faktoren aufgezeigt, als zwei sich bedingende Seiten derselben Medaille: Ausgrenzung als eine Form des Wahnsinns, die wiederum neue Ausgrenzung erzeugt. Wieviel Wahnsinn wird in unserer Gesellschaft toleriert, bevor man eingesperrt wird? Was bedeutet Ausgrenzung in Zeiten, die von Medikamentenmissbrauch geprägt sind?
Viele Aspekte, die früher ein Einsperren bedingten, sind verschwunden. Die Korrelation zwischen Armut, Wahnsinn und dem Verlust von Bürgerrechten scheint aber seit Jahrhunderten unverändert. Es finden sich auffallende Parallelen zwischen der Beliebigkeit zweier vollkommen unterschiedlicher Fragestellungen: Einem Patienten werden zur Beurteilung seiner Unzurechnungsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust seiner Mündigkeit dieselben Fragen gestellt, die ein Immigrant beantworten muss, der sich um eine Aufenthaltsgenehmigung in der EU bemüht, nachdem er einen europäischen Partner geheiratet hat.
Diese täglichen Mechanismen der Ausgrenzung beginnen schon in der Kindheit und sind Ausdruck der Gesellschaft, in der wir leben. Die Figuren beengen sich in ihren alltäglichen Aktionen der Ausgrenzung: »Man kann nicht immer nur Yoga machen, man muss auch ab und zu den Pförtner grüßen«, so eine Figur im Stück. Die Stadt Berlin als Synonym par excellence einer »eingesperrten« und »ausgesperrten« Stadt: Arbeitslose aus den neuen Bundesländern, die in den Jahren nach der Wiedervereinigung nicht mehr Fuß fassen konnten und Immigranten, die in Ost-Berlin studiert hatten und die sich im Zuge dessen legal im Land aufhalten konnten, verloren mit dem Fall der Mauer ihre Bürgerrechte. Sie sind nun Gestrandete ohne die Chance, in »ihr« Land zurückzukehren – Passagiere par excellence.
Wie die Passagiere jener Narrenschiffe des Mittelalters, die nicht in die festgelegten Normen der Gesellschaft hineinpassten und den endlosen Wogen des Wassers übergeben wurden. Wer sich genau auf diesen Schiffen befand, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Zurück bleibt das Unbehagen, die Ahnung, dass eines Tages eine schon längst vergessene Sendung zurückkehren oder dass solche Schiffe wieder geschaffen werden könnten, still und leise, und sie erneut aufbrechen würden, wieder und wieder. Gott sei Dank wird die BBC immer zur Stelle sein, um uns zu zeigen, dass es woanders noch viel schlimmer ist. Der Wahnsinn kann beginnen. In Berlin anderswo.
Regie und Choreographie
Constanza Macras
Dramaturgie
Carmen Mehnert
Bühnenbild Idee
Steffi Bruhn
Bühnenbild Realisierung
Juliette Collas
Kostüme
Gilvan Coelho de Oliveira
Ausstattung
Steffi Bruhn
Musik
Kristina Lösche-Löwensen
Almut Lustig
Fotos
Manuel Osterholt
Constanza Macras
Sergio de Carvalho Pessanha
Ton
Stephan Wöhrmann
Von und mit
Hilde Elbers
Fernanda Farah
Anouk Froidevaux
Hyoung-Min Kim
Denis Kuhnert
Johanna Lemke
Ronni Maciel
Ana Mondini
Elik Niv
Miki Shoji
Musiker
Kristina Lösche-Löwensen
Almut Lustig
Eine Produktion der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin und Constanza Macras | DorkyPark in Koproduktion mit HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, Maison des Arts de Créteil, dem Festival Perspectives Saarbrücken und tanzhaus nrw. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds und den Regierenden Bürgermeister Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten.
Termine
15.04.2011, 21.00 Uhr
16.04.2011, 18.00 Uhr
17.04.2011, 18.00 Uhr
18.05.2011, 20.00 Uhr
19.05.2011, 20.00 Uhr