Er sieht sich durch einen Doppelgänger ersetzt, der ihm mehr zu entsprechen scheint, als er selbst: In dieser radikalen Komödie weiss letztlich niemand mehr, wer er ist. Gibt es ein Ich? Und wenn ja, warum ist der Einzelne ersetzbar?
„Ward, seit die Welt steht, so etwas erlebt?“ Ja, steht sie überhaupt noch, diese Welt, in der ich ich bin und einzig und allein nur ich und nicht ein anderer, und sei es – ein Gott? Und wo die Liebesnacht, der
Lohn für einen Sieg im Feld, schon stattgefunden hat, bevor der siegreiche Feldherr zu seiner Gattin heimkehrt? Amphitryon kann es nicht fassen. Wer hat seinen Platz bei Alkmene eingenommen, seinen Namen, sein Bild, seine Erscheinung, ohne dass sie selbst oder ein anderer den Betrug bemerkte? Wer wagte es, sich auszutauschen gegen ihn, ihn zu ersetzen wenn er doch in allem ihm, Amphitryon, glich. Nicht einmal Jupiter selbst, der das Doppelgängerspiel angezettelt hat, um Amphitryon die Frau auszuspannen, bleibt von den bösen Folgen verschont. Denn wo bleibt der Gott, wenn es die abgöttische Liebe zu ihrem Mann war, die Alkmene in seine Arme getrieben hat? Am schmerzlichsten,
aber damit auch am deutlichsten spürt der Diener Sosias, wer er ist, als er von seinem Doppelgänger – Merkur – wie ein Hund aus dem Haus geprügelt wird.
Kleists Figuren wissen nicht mehr, wer sie sind, noch ein noch aus, noch wem sie angehören. Sie stürzen ins Chaos. Sie geraten an den Rand des Wahnsinns. Haltlos, sprachlos bewegen sie sich am Abgrund der Existenz. Die Grundfrage menschlicher Existenz, die Frage nach der eigenen Identität hat in Verbindung mit dem Doppelgängermotiv eine lange literarische Tradition von E.T.A. Hoffmann, über Dostojewski, E.A. Poe bis Paul Auster.
AMPHITRYON UND SEIN DOPPELGÄNGER ist die fünfte Arbeit der Regisseurin Karin Henkel während der
Intendanz von Barbara Frey am Schauspielhaus Zürich – zuletzt inszenierte sie 2012/13 die von Publikum und Medien gefeierte „Elektra“ in der Schiffbauhalle. Auf der Bühne werden dabei Carolin Conrad, Michael Neuenschwander und Fritz Fenne sowie die neuen Ensemblemitglieder Lena Schwarz und Marie Rosa Tietjen zu erleben sein.
Regie Karin Henkel
Bühne Henrike Engel
Kostüme Klaus Bruns
Musik Tomek Kolczynski
Licht Michel Güntert
Dramaturgie Gwendolyne Melchinger
Mit:
Carolin Conrad
Fritz Fenne
Michael Neuenschwander
Lena Schwarz
Marie Rosa Tietjen
Weitere Vorstellungen im Pfauen
30. September, 20 Uhr
2. Oktober, 20 Uhr
Weitere Vorstellungen sind in Planung.