Rihm selbst hatte bereits in jungen Jahren die Stärke der Büchnerschen Literatur erkannt und einen Büchner-Text zur Grundlage seiner ersten (Kammer-)Oper gemacht: „Jakob Lenz“. Ebenso wie den Komponisten im Falle der Oper „Jakob Lenz“ das Seelenleben des gequälten Dichters fasziniert, konzentriert er sich – im Gegensatz zu Gottfried von Einem, in dessen Werk gerade das Wirken der „entfesselten“ Massen in der Revolution zum zentralen Thema wird – in seiner Neukomposition „Eine Strasse, Lucile“ auf das Einzelschicksal innerhalb der Französischen Revolution: Lucile, die Gattin des Camille Desmoulins, eines wichtigen Weggefährten Dantons, ist über den sinnlosen Ausbruch der Gewalt, dem sie vollkommen machtlos gegenübersteht, dem Wahnsinn verfallen. Vergeblich versucht sie gegen das Töten anzuschreien und liefert sich durch ihr Aufbegehren letztendlich selbst der Vernichtungsmaschinerie aus.
Ausgehend von dieser Szene schwenkt der Blick des Zuschauers dann mit von Einems Oper zurück auf die Geschehnisse, welche Lucile zugrunde richteten: Danton, der charismatische Revolutionsführer, ist zum Feind der eigenen Mitstreiter geworden und fällt diesen letztendlich zum Opfer. Das vernünftige Ziel der Revolution ist längst in den Hintergrund getreten, Ideale verkümmerten, Konkurrenzkampf und Machtmissbrauch ließen ehemalige Verbündete zu erbitterten Feinden werden und das Volk mutierte zur blutdürstigen Masse. An die Stelle der Vernunft traten Schrecken und Gewalt.
Gottfried von Einem schrieb seine Oper „Dantons Tod“, die 1947 bei den Salzburger Festspielen ihre umjubelte Uraufführung erlebte, in den Jahren 1944 bis 1946, in einer Zeit also, in der er einen elementaren gesellschaftlichen Umbruch selbst miterlebte. Als Motto stellt er der Oper dabei ein Zitat aus einem Brief Georg Büchners an seine Braut voran: „Ich studiere die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte,“ – und lenkt so den Blick des Betrachters auf die „ewigen“ Mechanismen der Revolution, welchen die Menschen heute noch ebenso hilflos ausgeliefert sind, wie zu Dantons oder Büchners Zeiten.
„Eine Strasse, Lucile“ (Uraufführung)
Szene für Sopran und Orchester von Wolfgang Rihm
Text: aus „Dantons Tod“ von Georg Büchner
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Diana Tomsche (Lucile)
Dantons Tod
Oper in zwei Teilen von Gottfried von Einem
Text von Boris Blacher und vom Komponisten nach Georg Büchners gleichnamigem Drama
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Stefan Stoll (Georg Danton), Bernhard Berchtold / Hans-Jürgen Schöpflin (Camille Desmoulins), Andreas Heideker / Sebastian Haake (Hérault de Séchelles), Ks. Klaus Schneider (Robespierre, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses), Ulrich Schneider (St. Just, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses), Ks. Edward Gauntt (Herrmann, Präsident des Revolutionstribunals), Lukas Schmid (Simon, Souffleur), Sebastian Haake (Erster Henker), Manus Kia (Zweiter Henker), Sarah Alexandra Hudarew (Julie, Gattin Dantons), Diana Tomsche (Lucile, Gattin des Camille Desmoulins), Ks. Tiny Peters (Eine Dame), Evelyn Hauck / Susanne Schellin(Ein Weib, die Frau Simons)
Musikalische Leitung: Jochem Hochstenbach | Regie: Alexander Schulin | Bühne: Bettina Meyer | Kostüme: Ursina Zürcher |
Chor: Ulrich Wagner
Badischer Staatsopernchor, Badische Staatskapelle
Mit der Uraufführung Wolfgang Rihms, der – als gebürtiger Karlsruher – zu den weltweit renommiertesten Komponisten seiner Generation zählt, findet die Spielzeit und gleichzeitig die Zeit der Intendanz Achim Thorwalds in Karlsruhe einen sicherlich nicht alltäglichen Schlusspunkt. „Eine Strasse, Lucile“ entstand als Auftragswerk des Badischen Staatstheaters als Ergänzung zu Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“, mit der es gemeinsam zur Aufführung gelangen wird.
Weitere Vorstellungen: 13.7. und 15.7.2011