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BRECHTFESTIVAL AUGSBURG - Brecht und Deutschland – „Die Vaterstadt, wie empfängt sie mich wohl?“

28.2.-6.3.2016. ----- „Die Vaterstadt, wie empfängt sie mich wohl?“, heißt das Thema 2016, das die schwierigen Zeiten Brechts im Prozess der Teilung Deutschlands sowie des beginnenden Kalten Krieges in den Mittelpunkt stellt. Das Festival beleuchtet das komplexe Verhältnis des Dichters und Dramatikers zu seinem Heimatland, fragt und zeigt auf, für welches Deutschland er sich einsetzte. Es behandelt Brechts wichtigste Werke seiner letzten Jahre und verweist auf ihre Aktualität in Zeiten weltweiter Fluchtbewegungen und eines wieder erstarkenden Nationalismus.

 

Gastspiele berühmter Ensembles, Festivalproduktionen, die Brecht-Preisverleihung, Konzerte und popkulturelle Darbietungen, Vorträge und Diskussionen, Mitmachaktionen sowie Angebote für Kinder und Jugendliche stehen auf dem Programm.

 

Drei herausragende Gastspiele sind im Theater Großes Haus zu sehen: Das Berliner Ensemble zeigt „Es wechseln die Zeiten …“ – eine Revue durch Brechts Stücke in Liedern und Gedichten unter der Regie von Manfred Karge: Schauspieler, Sänger und Musiker begeben sich auf einen Spaziergang durch das poetische und musikalische Werk Brechts. Premiere wurde 2014 in Paris gefeiert, in Augsburg wird die Revue das Brechtfestival eröffnen. Ein weiteres Gastspiel ist die konzertante Aufführung von Brechts wohl erfolgreichstem und auch international bekanntestem Stück „Die Dreigroschenoper“ durch das Ensemble Modern (Leitung: HK Gruber). Die Aufführung wurde 1999 auf CD eingespielt und hat auf ihrer Tournee u.a. durch Amsterdam, London, Paris und Rom Kultstatus erlangt. Zuletzt wurde sie im Sommer 2015 bei den Salzburger Festspielen gezeigt. Beim Brechtfestival Augsburg wird „Die Dreigroschenoper“ gemeinsam mit dem Jungen Vokalensemble Schwaben auf die Bühne gebracht. Das Deutsche Nationaltheater Weimar zeigt „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (Regie: Christoph Mehler). Ein Stück von betreffender Aktualität in Zeiten, in denen sich nationalistische Strömungen in ganz Europa ausbreiten.

 

Zu den nachhaltigsten Festivalproduktionen der letzten Jahre gehören Thomas Thiemes konzertante Lesungen der Stücke „Baal“ (2014) und „Das Leben des Galilei“ (2015). 2016 werden diese beiden Inszenierungen verdichtet, in neuem Gewand sowie einem besonderen Ambiente präsentiert: dem Goldenem Saal der Stadt Augsburg. „Brecht XXL. Best of Brecht meets Thieme“ setzt zwei für Brechts Werk zentrale, aber völlig unterschiedliche Figuren in ein Spannungsverhältnis: den Dichter Baal und den Wissenschaftler Galilei. Begleitet wird die Aufführung durch den Bassgitarristen Arthur Thieme, beim „Galilei“-Stück zudem durch den Schulchor des Schmuttertal-Gymnasiums Diedorf (Leitung: Andrea Huber). Eine Festivalproduktion ganz anderer Art wird im Sensemble Theater zu erleben sein: „Brechtburg – Die Stadtratssitzung“ unter der Regie von Sebastian Seidel. Das Stück verarbeitet Stadtratsprotokolle und Dokumente zu Brecht von den 50er Jahren bis heute. Im Mittelpunkt steht eine hitzige Debatte über den Umgang der Stadt mit Brecht, seine politische Gesinnung und seinen künstlerischen (Vermarktungs-) Wert. Auf der Brechtbühne zeigen der Regisseur Jörg Wesemüller und die Choreographin Simone Lindner das Stück „Exclusiv. Deutschland – Ort der Sehnsucht“, das sie mit Jugendlichen aus Augsburg, Afghanistan, Eritrea, Nigeria und Somalia speziell für das Brechtfestival 2016 erarbeitet haben. Ausgehend von Brechts Tagebüchern und Briefen, die während seiner Exilzeit und kurz darauf entstanden, setzt die Inszenierung individuelle Erfahrungen der Jugendlichen mit den Themen Heimat und Fremdsein um. Am Abschluss des Brechtfestivals steht die Aufführung „Nachruf auf Brecht“, in der diejenigen zu Wort kommen, die am meisten mit seinen Texten zu tun haben: die Schauspieler, davon einige, die das Festival in den vergangenen Jahren wesentlich geprägt haben: Thomas Thieme, Meret Becker und Dominique Horwitz. Sie rezitieren, singen und sprechen über ihre Erlebnisse mit dem großen Dichter. Durch den Abend führt Moderator Max Moor.

 

Literarischer Höhepunkt des Brechtfestivals 2016 ist die Verleihung des mit 15.000 Euro dotierten Brecht-Preises: Schriftstellerin Silke Scheuermann wird für ihre Lyrik geehrt, mit der sie Zeitgeschehen in filigran-kraftvoller Metaphorik deute und kommentiere und in ihrem Werk damit eine eigenständige Ästhetik von hoher Qualität erreiche, urteilt die Jury. Zum Augsburger Literaturgespräch wird der schweizerische Schriftsteller und Dramatiker Lukas Bärfuß erwartet. In seinem Stück „Zwanzigtausend Seiten“ geht es u.a. um das quälende Nicht-Vergessen-Können, dass Nutznießer des Krieges zeitlebens unbehelligt geblieben sind. Auch der Heimkehrer Brecht sah darin eine der größten Versäumnisse der Nachkriegspolitik. Weiterer Höhepunkt ist ein literarisch-musikalisches Nachtprogramm von und mit Brecht-Buchhändler Kurt Idrizovic. Beim Spaziergang durch Brechts Augsburger Viertel erzählt er Hintergründe und Entstehungsgeschichten berühmter Gedichte und Lieder. Einen Bogen von der Literatur zur Musik schlägt zudem Lydia Dahers Reihe „Abenteurer mit kühnem Wesen“. Hier trifft die Lyrik des Schweizerischen Performance-Künstlers Jürg Halter auf die schonungslos offene Prosa des syrischen Bloggers und Schriftstellers Aboud Saeed.

 

Traditionell zählen Konzerte und das popkulturelle Programm zum Kern des Augsburger Brechtfestivals. Musikalischer Höhepunkt ist der Auftritt von Element of Crime in der Kongresshalle. Element of Crime gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Bands und ist bekannt für anspruchsvolle Songs und lyrische Texte, in denen die scharfe Beobachtung der Gegenwart mühelos Alltagsbanalitäten in existentielle Themen überführt. Ein verdichtetes popmusikalisches Programm bietet wieder die Lange Brechtnacht im Theaterviertel an: Pop, Chanson, Spoken Word, Jazz, Theater und Experimentelles aus der Schweiz, England, Bulgarien, der Türkei, Argentinien und Deutschland. Die von Girisha Fernando kuratierte Brechtnacht folgt den Spuren des Dichters, der wie kaum ein anderer Text, Musik und Botschaft verbunden hat. Höhepunkt ist u.a. der Auftritt der Band „Woods of Birnam“ mit Schauspieler Christian Friedel im Theater Großes Haus: Friedel lässt die Figur des Arturo Ui dabei auf die Machtmechanismen moderner Medien treffen. Darauf gehört die Bühne der international gefeierten Schweizerischen Sängerin Sophie Hunger. Außerdem lässt die Lange Brechtnacht zwei Zeitgenossen aufeinandertreffen: Bertolt Brecht und den türkischen Lyriker Nâzım Hikmet. Hervorzuheben sind des weiteren Auftritte der Singer-Songwriterin DOTA, des experimentellen Züricher Duos Egopusher sowie Dichtung und Avantgarde-Jazz bei „Beat, Jazz & Spoken Word“.

 

Vorträge und Diskussionen des Festivals widmen sich Brechts Verhältnis zur Heimat sowie aktuellen Deutschlandbildern. „Deutschland, schwierig Vaterland“ heißt der Titel einer politischen Podiumsdiskussion auf der Brechtbühne mit den Politikern Anton Hofreiter (MdB und Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen), Josip Juratovic (MdB SPD) und dem Politologen Herfried Münkler (HU Berlin). Moderation: Sonia Zekri (Süddeutsche Zeitung). Diskutiert wird über zukunftsweisende Positionen zu Themen wie Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Pegida. Eine von Jan Knopf kuratierte Vortragsreihe beschäftigt sich mit „Brecht im Nachkriegsdeutschland“: Die Spannungen zwischen Heimatstadt und Weltgeltung bilden die thematische Klammer der vier Beiträge der Brechtforscher Andreas Zinn, Jan Knopf, Michael Friedrichs und Albrecht Dümling. Brechts Begriff von Heimat und Herkunft rundet sich auch im Blick auf seine familiären Beziehungen. Brecht-Enkelin Johanna Schall portraitiert zum Festival ihren Vater, den berühmten Schauspieler Ekkehard Schall. Gregor Gysi spricht mit Dirk Heisserer und Joachim A. Lang über die Familie Weigel: Ausgehend vom Wirken Helene Weigels in Ost-Berlin wird das bislang unbekannte jüdische Deportationsschicksal der Familie Weigel in Wien thematisiert. Dirk Heisserer stellt zudem den Brecht-Sohn Frank Banholzer vor, der in der Familie Weigel gelebt hat. Dabei kommen neu entdeckte Briefe der Brecht-Geliebten Paula Banholzer zu Wort.

 

Zu den Mitmachaktionen des Brechtfestivals gehört das Pre-Opening „Ich kann Brecht – Brecht kann mich“: Bürgerinnen und Bürger können sich bis zum 5.2. über brecht@augsburg.de bewerben, am Publikumstheater teilzunehmen. Ob über Musik, Schauspiel oder Tanz: Jeder erhält auf der Brechtbühne Gelegenheit, sich unbefangen über Brecht und die Stadt auszulassen. Zum Festivaltreffpunkt für alle Künstler und Besucher wird die „Zentrale“: das Alte Stadtarchiv am Stadtmarkt. Während der gesamten Festivalwoche wird die „Zentrale“ von der Augsburger Theatergruppe bluespots productions bespielt. Zur Langen Brechtnacht führt sie „Das große DDR Spitzel Spiel“ als theatrale Installation auf. Interessierte können sich als Brecht-Spitzel unter stasi@bluespotsproductions.com anmelden und Teil der fünftägigen Inszenierung sein.

 

Programme für Kinder und Jugendliche sind ebenfalls beliebte Mitmachaktionen des Festivals. So laden Michael Friedrichs, Karla Andrä und Dagmar Franz-Abbott zur offenen Aufführung von „Mein Lieblings-Brecht“: Schüler, Lehrer und Eltern sind aufgerufen, ihr Lieblings-Stück bei einer Aufführung im Theater zu präsentieren.

 

Das Brechtfestival Augsburg (28.2. – 6.3.2016) wird veranstaltet von der Stadt Augsburg, Kulturamt/ Büro Brechtfestival, in Ko­operation mit dem Theater Augsburg. Partner des Brechtfestivals ist die Stadtsparkasse Augsburg. Mit freundlicher Unter­stützung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, den Stadtwerken Augsburg sowie weiterer Förderer und Sponsoren. Medienpartner: Augsburger Allgemeine und Bayern 2.

 

Alle Infos

www.brechtfestival.de

 

 

 

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