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Der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing

Schöpfergeist, Rebell und Pionier

Keinem verdankt das moderne deutsche Theater so viel wie Lessing. Er hat es mit seinen Werken erst richtig begründet - und ihm gleichzeitig mit theoretischen Schriften eine dramaturgische Wirbelsäule gegeben.

Vor Lessing war das deutsche Drama eine Ansammlung blasser Versuche, die sich an große europäische Vorbilder anlehnten. Shakespeare in England, Molière, Racine und Corneille in Frankreich, Lope de Vega und Calderon in Spanien, Goldoni in Italien - sie hatten hundert Jahre früher mit ihren Dramen die Szene ihrer Länder gross und wichtig gemacht. Ganz zu schweigen von Griechenland, das schon weit vor Christi Geburt eine wunderbare Theaterblüte erlebte. Deutschland vegetierte bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts in theatralischer Bedeutungslosigkeit.

Da trat Lessing auf den Plan. Noch keine 20 Jahre alt, 1729 geboren als Pfarrerssohn in der Lausitz, dem der Vater eigentlich jede Beschäftigung mit der "Comödie" verboten hatte. Er studierte in Leipzig und lernte dort die mutige Prinzipalin Caroline Neuber kennen, die von einem deutschen litarischen Theater träumte. Sie führte den ersten Einakter des Teenager-Autors mutig auf - und wies ihm damit den Weg zu den wunderbaren Möglichkeiten seines Talents. Bald machte sie mit ihrer Truppe in Leipzig Konkurs, und er sah sie nie wieder - aber fortan widmete er sich immer wieder dem "Verfertigen" von Stücken, die nicht nur zum Besten der Dramendichtung gehören, sondern die strahlende Initialzündung zur neuzeitlichen deutschen Theaterkunst sind.

Mit sechsundzwanzig schrieb Lessing aufgrund einer Wette mit seinem Freund Moses Mendelssohn in sechs Wochen das Stück "Miss Sara Sampson", das die erste bedeutende deutsche Tragödie überhaupt ist. Sie spielt in bürgerlichen Kreisen, was im damaligen, von König, Fürsten und Adel bestimmten Deutschland eine Neuheit war. Und sie leuchtet nicht nur in die Abgründe der Seelen, sondern auch in die Tiefen gesellschaftlicher Misstände, in die Ungerechtigkeit der männlichen Vorherrschaft über die Frauen. In seiner kleinen Komödie "Die Juden" hatte er schon vorher die Absurdität des Judenhasses mit all seinen fadenscheinigen Begründungen entlarvt.

Lessing lebte im Zeitalter der Aufklärung, er war auch als Dramatiker immer ein Aufklärer und ein hochpolitischer Autor, ein freier Geist, der "niemandes Herr und niemandes Knecht" sein wollte. In jedem seiner Stücke geht es in genialer Verknüpfung um die Auswirkungen von Macht und Willkür auf das Schicksal des Einzelnen.

"Minna von Barnhelm"" entstand im siebenjährigen Krieg und ist deshalb die grossartigste deutsche Komödie, weil hier mit dem leichtfüssigen Gestus des "Lustspiels" die verheerenden Kriegsfolgen gegeisselt werden.

Die Tragödie "Emilia Galotti" ist der schonungsloseste dramatische Spiegel, der je einem absolutistischen Herrscherclan vorgehalten wurde.

"Nathan der Weise"" war Lessings letztes Stück und bleibt für immer eines der kostbarsten Spitzenwerke der Weltliteratur. Als Schauplatz nahm er Jerusalem, was nie wieder ein deutscher Autor wagte. In diesem Brennspiegel der Religionskämpfe entwickelt sich die Handlung zu einem Modell, das nicht nur die Versöhnung zwischen Juden und Christen, sondern auch die Verständigung mit dem Islam umschliesst. Die weitsichtige Idee einer Weltordnung, die bis heute nicht verwirklicht ist, ohne die es aber keinen Frieden geben wird.

Werkausgaben:

Gotthold E. Lessing: Werke und Briefe. 12 Bde. in 14 Tl.-Bdn. Deutscher Klassiker Verlag.

Gotthold E. Lessing: Werke, 3 Bde. dtv.

Preiswerte Einzelausgaben der Stücke finden Sie durch Anklicken der Titel im Text.

Biographien:

Dieter Hildebrandt: Lessing. Biographie einer Emanzipation.

Vera Forester: Lessing und Moses Mendelssohn. Geschichte einer Freundschaft. Europäische Verlagsanstalt.

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