Die hohen Rechnungen sind Argan allerdings ein Dorn im Auge. Linderung seiner Leiden und optimale medizinische Bertreuung verspricht er sich von der Heirat seiner Tochter Angélique mit dem Sohn eines seiner Ärzte, dem wenig anziehenden Thomas Diaforus, der ebenfalls Mediziner ist. Von diesem Plan hält Angélique nicht viel, zumal sie in den schönen Cléante verliebt ist, der sich in Argans Haus, als Musiklehrer getarnt, zum Stelldichein mit seiner Angebeteten einschleicht. Mit aufbrausendem Temperament ist es Argan gewohnt, seinen Willen durchzusetzen. Doch Toinette, eine Hausangestellte, greift listig in das Geschehen ein.
Damit sind die Voraussetzungen für eine hervorragende Komödie gegeben, die aber auch deutlich mehr zu bieten hat als "nur" meisterhaft verknüpfte Handlungsstränge und Verwicklungen. Molière spielt virtuos mit verschiedenen Themen. Eines davon ist: Es ist nicht unbedingt entscheidend, wie die Dinge wirklich sind, sondern wie wir uns unsere Wirklichkeiten und Ansichten im eigenen Kopf zurechtlegen. So wird schnell deutlich, dass die eigentliche Krankheit Argans die Hypochondrie ist: Seine Krankheit besteht in der Einbildung, krank zu sein. Auch hinsichtlich seiner festen Überzeugung, dass für seine zweite Frau Béline nur die Liebe zählt, hält der Verlauf der Ereignisse eine gehörige Überraschung für Argan bereit. Außerdem verarbeitet Molière mit komödiantischem Geschick unterschiedliche medizinische Ansichten seiner Zeit und zeigt, wie sehr auch auf diesem Gebiet die jeweilige Überzeugung die Behandlung bestimmt. Nicht nur mit diesem Aspekt landet Molières Komödie zielsicher in unserer Gegenwart.
Molière entwirft - hier zeigt sich die Stärke des Autors, pointierte Charaktere zu zeichnen - ein bestechendes Psychogramm Argans eine große Auseinandersetzung mit der Einsamkeit und der Endlichkeit des Menschen. Wobei interessanter Weise das Motiv des Todes bzw. des vorgetäuschten Todes auch der Wahrheitsfindung dient. Nicht zuletzt ein Blick in die Biografie des Autors lässt den Tod als Thema ins Blickfeld rücken. Molière (mit bürgerlichen Namen Jean-Baptiste Poquelin) trat selber in den Hauptrollen seiner Stücke auf, die er seit 1658 am französischen Hof Ludwigs XIV. aufführte. Nach der vierten Aufführung als "eingebildete Kranker" Argan verstarb der große Theatermann.
"Großer Theatermann" ist bei Molière alles andere als eine Übertreibung oder ein leichthin angehängtes Attribut. Die kontinuierlichen Aufführungen seiner Stücke seit ihrer Entstehungszeit verweisen auf eine überzeitliche Qualität seiner Stoffe und Theatertexte.
In der Regie von Oberspielleiter Markus Kopf, dessen Inszenierung von Molières "Tartuffe" noch manche Theaterbesucher in guter Erinnerung haben werden, wird "Der eingebildete Kranke" erstmals in der Neuübersetzung von Simon Werle seinen Weg auf die Bühne finden.
Regie: Markus Kopf
Bühne und Kostüme: Manfred Kaderk
Dramaturgie: Ralph Blase
Mitwirkende:
Johannes-Paul Kindler (Argan)
Antje Temler (Béline)
Judith Patzelt (Angélique)
Marie-Paulina Schendel (Louison)
Oliver Fobe (Béralde)
Bernhard Glose (Cléante)
Frank-Peter Dettmann (Monsieur Diarrhoerius)
Thomas Diarrhoerius (Tim Mackenbrock)
Johann Schibli (Monsieur Purgon)
Gian-Philip Andreas (Monsieur Bonnefoy)
Regine Andratschke (Toinette)
Alexander Pankov (Akkordeonspieler)