Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Der lange Arm des Schicksals - OedipusDer lange Arm des Schicksals - OedipusDer lange Arm des...

Der lange Arm des Schicksals - Oedipus

Stadttheater Aachen als Eröffnungspremiere der Spielzeit 2000/2001

Es könnte alles so schön sein. König Oedipus regiert seit Jahren die reiche Stadt Theben, in die er als Fremdling gekommen war. Er ist verheiratet mit der Witwe seines Vorgängers, der von Unbekannten erschlagen wurde, er hat viele Kinder und eine unangefochtene Macht.

Dass einst vom göttlichen Orakel etwas Grauenhaftes, Undenkbares prophezeit wurde, haben alle bis jetzt erfolgreich verdrängt. Aber vorbestimmtes Unheil bricht aus, auch wenn es noch so lang geschlafen hat. Die Stadt wird plötzlich von einer schrecklichen Seuche heimgesucht, deren Grund der ungesühnte Mord am alten König sein muß.

So beginnt das grandiose Stück von Sophokles, und es kann nicht anders enden als mit dem totalen Untergang derer, die ihr Glück auf dem schwankenden Boden ungeklärter Schuld errichten wollten.

Oedipus ist wie keine andere Figur aus der Antike in unser heutiges Bewußtsein gedrungen. Sigmund Freud bezeichnete die Oedipus-Geschichte als Grundmuster für geheime Wünsche heranwachsender Männer, den Vater zu töten und die Mutter als Frau zu nehmen. Da diese Hintergründe so bekannt sind, ist es besonders spannend, auf der Bühne mitzuerleben, wie sich im griechischen Drama die Wahrheit Zug um Zug aus der Geheimnistuerei befreit.

Oedipus steht unter dem Zwang zur lückenlosen Aufklärung. Er kann nicht leben unter dem lautgewordenen Verdacht, die wichtigsten Tabus gebrochen zu haben. Seine Mutter und Frau Jokaste weiß längst, dass diese Wahrheit nur Tod bedeuten kann. Als Verfechterin des Lebens um jeden Preis versucht sie bis zum bitteren Ende, das Gschehene zu verschleiern. Beide vollstrecken schließlich nichts anderes als den vernichtenden Plan der Vorsehung.

Eine Problematik, die heute genauso heiß diskutiert wird wie zu allen Zeiten. Man denkt unwillkürlich an das Entschlüsseln der menschlichen Gene, mit dessen Hilfe schon im Mutterleib zukünftige Krankheiten, Behinderungen oder Eigentümlichkeiten erkannt werden. können. Man denkt an die verhängnisvollen Tabuverletzungen in unserer scheinbar so freien Gesellschaft. An heutige Macht und ihre Verknüpfung mit Schuld.

Das neue Leitungsteam des Stadttheaters Aachen hat mit der Wahl dieses Stücks zum Spielzeitbeginn anspruchsvolle Maßstäbe gesetzt. Oberspielleiter Michael Helle ist ihnen mit seiner Inszenierung gerecht geworden. Dies vor allem dank seiner prägenden Regiekonzeption und einer sehr genau dazu passenden Ausstattung von Dieter Klaß. Die Bühne ist ein steiles hölzernes Treppengerüst, das nach links leicht abfällt, mit einer Mittelplattform, die auch den Eingang zum Palast markiert. Eine zwingende Metapher für Aufstieg und Absturz. In der fantasievollen Beleuchtung nimmt sie verschiedene Gestalten an, Stadtzentrum und Zuschauerrang, Regierungsplatz und Tribunal.

Die handelnden Personen, in eine Mischung aus historisch und neu gekleidet, sind alle kahlköpfig, was ihnen alterslose, urtypische Züge verleiht. Sprache und Bewegung wirken bis ins letzte durchdacht.

Marita Breuer als Jokaste im brandroten Kleid spielt kraftvoll und unbeirrbar den Inbegriff der selbstbewußten Frau, die sich für fähig hält, einer früheren Schuld und einem gnadenlosen Schicksal die Stirn zu bieten. Die eindrücklichste schauspielerische Leistung des Abends. Der sehr junge, begabte Markus Heinicke füllt die Riesendimensionen der Oedipusrolle noch nicht aus. Seine Stärke ist der kluge Umgang mit den eigenen Mitteln und eine leidenschaftliche Intensität. Die anderen Figuren und der Chor sind in der klaren Form gut aufgehoben, wenn auch als Spieler von unterschiedlicher Überzeugungskraft. Man spürt, dass hier ein neues Ensemble auf dem Weg ist, sich selbst und zueinanderzufinden.

Ein ausgezeichneter, mutiger Start!

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 18 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

STÜRMISCHE GLUT -- SWR Symphonieorchester unter Markus Poschner in der Liederhalle STUTTGART

Goethes "Egmont" inspirierte Ludwig van Beethoven im Jahre 1810 zu einer Schauspielmusik, die in keiner ihrer verschiedenartigen Nummern erkennen lässt, dass es sich dabei um ein Auftragswerk…

Von: ALEXANDER WALTHER

REIZVOLLE SPRÜNGE -- Arabella Steinbacher im Ordenssaal bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

Stimmungsvolle Werke hatte sich die Geigerin Arabella Steinbacher zusammen mit dem Pianisten Peter von Wienhardt ausgewählt. Im Arrangement von Jascha Heifetz erklangen zunächst vier leidenschaftlich…

Von: ALEXANDER WALTHER

PRÄZISE STRUKTUREN -- Neue CD: Schostakowitschs Präludien & Fugen op. 87 bei Pentatone/ Wer sie in S

Wer sie in Stuttgart mit Prokofieffs drittem Klavierkonzert erlebt hat, wird sie nicht vergessen. Die Rede ist von der russischen Pianistin Yulianna Avdeeva, die die Präludien und Fugen von Dmitri…

Von: ALEXANDER WALTHER

RITTERLICHER HUMOR -- Das Stuttgarter Ballett zeigt "Don Quijote" im Opernhaus STUTTGART

In diesem Ballett von Maximiliano Guerra nach Miguel de Cervantes kämpft ein junges Paar um seine Liebe. Gleichzeitig begegnen wir Don Quijote als Träumer mit einem unglaublichen Durchhaltevermögen.…

Von: ALEXANDER WALTHER

UNENDLICHKEIT DER KLANGWELT -- Liederabend mit Benjamin Appl im Ordenssaal bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

Die Nacht in all ihren geheimnisvollen Facetten stand im Mittelpunkt dieses bemerkenswerten Liederabends mit Benjamin Appl (Bariton), der auch bei Dietrich Fischer-Dieskau studierte, was man seinen…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑
StartseiteBeiträgeKritikenHintergründeTheatermacherServiceFachbegriffeSuche