Als die Burschen alt werden und sterben, bedingt sich jeder aus, seinen Teil des Mondes mit ins Totenreich zu nehmen. Dort wieder zusammengefügt, leuchtet der Mond erneut und weckt die Toten auf, die eine wilde Party zu feiern beginnen. Petrus im Himmel ist alarmiert und glaubt einen Aufstand der Toten bekämpfen zu müssen, doch im Totenreich lässt er sich gern zu einem Gläschen Wein einladen und beruhigt dann die Toten, indem er den Mond mitnimmt und am Himmel aufhängt. Da entdeckt ihn als erstes ein Kind.
Carl Orff griff für seine erste vollendete Oper „Der Mond“ (1936-1938, UA 1939 München) auf ein Märchen der Gebrüder Grimm zurück. Seine Affinität zu volkstümlichen (bayerischen) Sujets, die in den „Carmina burana“ (1935) schon anklang, offenbarte sich in dieser und der folgenden Oper „Die Kluge“. Ursprünglich hatte er den „Mond“ für die Marionettenbühne vorgesehen, ließ sich dann aber zu einer Orientierung an herkömmlichen Formen überreden. Um das Märchen wieder zu seiner über Jahrhunderte gebräuchlichen mündlichen Überlieferung zurückzuführen, setzte Orff die Figur des Erzählers ein. Er präsentiert an verschiedenen Stellen der Oper den Fortgang der Handlung nach dem epischen Märchentext, wie ihn die Brüder Grimm aufschrieben, und strukturiert so die musikalisch-dramatische Handlung. Das restliche Drittel des Märchens dramatisierte Orff für die diversen Figuren (-gruppen).
„Aus dem Wort entsteht Rhythmus, Klang und Bewegung. Musik und Text sind immer gleichzeitig entstanden und so verbunden, dass keines vom andern zu trennen ist, ohne seinen Sinn zu verlieren“, schrieb Carl Orff. Seine Musik, die spätestens seit den „Carmina burana“ zu einem unverwechselbaren Personalstil geworden ist, ist Ausdruck einer Reduktion des Musiktheaters auf seine elementaren Bestandteile. Sie weist in „Der Mond“ keine kontrapunktische Verdichtung, komplexe Chromatik oder auch nur thematisch-motivische Entwicklungen auf, sondern setzt auf eine Quasi-Baustein-Ästhetik. Der Gesang leitet sich vom Sprechgesang her, nimmt durchaus lyrische Züge an und ist stets sehr gut verständlich. Die Harmonik bleibt stets in der Dur-Moll-Tonalität verankert, doch im rhythmischen Bereich setzt Orff mit erweitertem Instrumentarium auf reizvolle Klangeffekte, arbeitet dabei auch mit Orgel und Chorgesang aus dem Off. Die Ostinati, die den gesungenen Text häufig begleiten, verleihen dem ganzen Klanggewand etwas Archaisch-Volkstümliches.
Carl Orff (1895-1982) wuchs in München auf, wo er auch studierte und während des 1. Weltkriegs als Kapellmeister an den Kammerspielen tätig war. Weitere Engagements führten ihn nach Mannheim und Darmstadt. In den 1820er Jahren gründete er in München mit Dorothee Günter eine Schule für Gymnastik, Tanz und Musik. Seine musikpädagogischen Gedanken manifestierte er im „Schulwerk“, das er 1930-1935 erarbeitete, dabei entwickelte er zusammen mit dem Klavierbauer Karl Maendler das entsprechende Instrumentarium. Gleichzeitig war Orff als Dirigent des Münchner Bachvereins tätig und leitete 1950-1960 eine Meisterklasse für Komposition an der Münchner Musikhochschule. Als Komponist empfing Orff zunächst starke Impulse von Claude Debussy, Arnold Schönberg und vor allem Igor Strawinsky. Mit den „Carmina burana“ fand er zu seinem Personalstil, der sich durch alle weiteren Werke nachweisen lässt. Als spätere Hauptwerke bezeichnete er selbst die Musikalisierungen der griechischen Tragödien „Antigone“ (1949), „Ödipus, der Tyrann“ (1959) und „Prometheus“ (1968). Orffs Haltung während des Dritten Reiches wurde vor einiger Zeit sehr kritisch untersucht. Dem neuesten Stand der Forschung zufolge (2004) kann festgehalten werden, das Orff war kein Nazi war. Er war niemals Mitglied der Partei, hegte keinerlei Sympathien für deren Ideologie, übernahm keine öffentliche Funktion in der Reichsmusikkammer oder ähnlichen Institutionen und galt zu keinem Zeitpunkt als offizieller Komponist des Regimes. Während des Krieges blieb er in Deutschland; er brauchte die Verbindung zu den deutschsprachigen Theatern. Orff erhielt zahlreiche Auszeichnungen und starb 1982 in seiner Heimatstadt München.
Die Inszenierung
Holger Potocki und sein Team Jens Büttner (Bühne) und Lena Brexendorff (Kostüme) gestalten mit „Der Mond“ eine Familienoper im besten Sinne. Ausgehend von der Figur des Kindes am Schluss der Oper und der beschriebenen Konstellation mit einem externen Erzähler inszenieren sie die Oper aus der Perspektive dieses Kindes, das vom Vater abends beim Schlafengehen eine Geschichte erzählt bekommt – die sich im Halbschlaf und Traum verselbständigt. So schließt sich ein Kreis auf nachvollziehbare Weise. Das Bühnenbild beinhaltet das kindliche Schlafzimmer als „Keimzelle“, die sich dann in einen „Traum-Raum“ vergrößert. Auch die Kostüme unterstützen die kindliche Sichtweise, wenn sie wiedererkennbare, dabei höchst fantasievolle Verbindungen zwischen Realität und Erzählung schaffen. Besonders reizvoll ist die Einbeziehung des Figurentheaters: Mit einer von Atif Hussein gebauten, nahezu lebensgroßen Puppe, die die Vater-/Erzähler-Figur doubelt, hält nicht nur eine neue Erzählebene in die Totenreich-Szene Einzug, sondern ereignet sich zugleich ein Spielvorgang, der das Medium Theater selbst verhandelt und nebenbei einer weiteren Figur einen zwingenden Einsatz verschafft: der in der Realitätswelt abwesenden, weil verstorbenen Mutter. Der Bau und damit die Nutzung der Puppe konnte dank einer großzügigen Spende der Erich-Schellhorn-Stiftung realisiert werden.
Musikalische Leitung: Arnaud Arbet
Inszenierung: Holger Potocki
Bühne: Jens Büttner
Kostüme: Lena Brexendorff
Puppenbau: Atif Hussein
Choreinstudierung: Simon Zimmermann
Besetzung: André Riemer (Der Erzähler), Gerlinde Tschersich (Erzähler/Vater (Puppe) / Mutter), Andreas Kindschuh (1. Bursche), Matthias Winter (2. Bursche), Edward Randall (3. Bursche), Thomas Mäthger (4. Bursche), Martin Gäbler (Ein Bauer), Roland Glass
(Ein Schultheiß), Frank Höhnerbach (Ein Wirt), Kouta Räsänen (Petrus), Jonathan Kindschuh / N. N. (Kind),
Chor der Oper Chemnitz, Kinder- und Jugendchor der Oper Chemnitz, Robert-Schumann-Philharmonie
Mit freundlicher Unterstützung der Erich-Schellhorn-Stiftung
Die nächsten Vorstellungen sind am 9. und 15. Juni, je 15.00 Uhr sowie am 11. und 14. Juni,
je 19.30 Uhr.