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Der Nachwuchs als Brandbombe

„Feuergesicht“ von Marius von Mayenburg im Düsseldorfer Schauspielhaus

„Die mögen uns noch weniger als wir uns nicht mögen“, stöhnt die hilflose Mutter angesichts ihrer pubertierenden Kinder, von denen ihr vorwiegend Hass oder Verachtung entgegenschlägt. Wenn man sich tief innen selbst nicht akzeptieren kann, wie sollen einen die Kinder respektieren? Doch das ist nur ein Teil der Problematik. Denn was immer die stressgeplagten Eltern Halbwüchsiger tun oder äußern, es ist garantiert das Falsche. Ob sie Essen bereitstellen oder nicht, ob sie reden oder nicht, ob sie sich bewegen oder nicht - es ist in den Augen des Nachwuchses spießig und verlogen.

In diesem Stück wird nun alles, aber auch alles ausgeblendet, was am Familienleben eventuell noch liebevoll, sinnvoll oder auch nur erträglich erscheinen könnte. Das nackte blutige Elend halbwüchsiger Kinder in bürgerlichen Familien quillt ständig hervor wie Lava aus einem daueraktiven Vulkan.

Sohn Kurt ist am schlimmsten von den Qualen der Pubertät gebeutelt. Er möchte sich selbst finden und kann sich doch selbst nicht aushalten. Aber eines weiß er: lieber tot oder ständig zugedröhnt sein als so werden wie die schrecklichen Eltern. Weil er das Feuer in seiner Seele nicht bändigen kann, zündelt er in seiner Umgebung. Mit selbstgebastelten Brandbomben terrorisiert er die Nachbarschaft. Olga, seine etwas ältere Schwester, schmeißt sich dem Motorradfreak Paul in die Arme und wird bitter enttäuscht, der kann sie nicht so lieben, wie sie es möchte. Umso verzweifelter schließt sie sich mit ihrem Bruder zusammen, immer mehr verkrallen sich die beiden in einer inzestuös verdichteten Symbiose, immer öfter nimmt der Bruder die Schwester mit zu seinen nächtlich-heimlichen Brandstiftungsaktionen. Die Eltern werden passiver und ratloser, verschanzen sich traurig hinter Zeitung und Strickzeug. Schließlich kulminieren die jugendlichen Versuche, sich abzugrenzen, „einzeln zu werden“ zu einer fürchterlichen Mordtat.

Die Pubertätszeit der Kinder ist eine besonders schwierige Phase im Ablauf jedes Generationenkonflikts. Erfolgsautor Mayenburg hat das in seinem bitteren Stück zur großen Menschheitstragödie hochgeschrieben. Die Metapher des Feuerlegens treibt den in Millionen von Einfamilienheimen schwelenden Kampf der Biedermann-Eltern mit ihren jungen Brandstiftern auf die dramatische, traumatische Spitze. Der von den Kindern meistens nur geträumte, fast rituelle Elternmord, hier auf der Bühne wird er begangen. Dass er absolut keine Erlösung bringt, hat Mayenburg am Schluss nicht verschwiegen.

Die Inszenierung von Florian Fiedler im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses ist hervorragend. Das Bühnenbild von Robert Ebeling mit dem vervielfältigten Familienschnappschuss und dem beweglichen Boden ausgezeichnet. Die Schauspieler sehr gut: Winfried Küppers als sprücheklopfender Vater, Anke Schubert als verständnisvoll sein wollende und doch ignorante Mutter, Lisa Hagmeister als Tochter und – allen voran und ganz wunderbar - Johannes Allmayer als todunglücklicher, brandstiftender Sohn Kurt.

Premiere 2005, Vorstellungen auf dem laufenden Spielplan

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