Ab Ende des 18. Jahrhunderts wurde mit der Entstehung des deutschen Nationalgedankens der Sieg der Germanen gegen die römischen Okkupanten als deutscher Gründungsmythos gewertet. Auch Christian Dietrich Grabbes 1836 geschriebenes Stück zum historischen Geschehen um Varus und Hermann bot mit der Gegenüberstellung der normierten und fühllosen römischen „Hochkultur“ und des naturverbundenen Germanentums völkischen Exegeten als „nationaler Stoff“ Anknüpfungspunkte zur ideologischen „Gleichschaltung“. Hermann, im Sold der Römer und mit deren militärischen Gepflogenheiten bestens vertraut, gelingt die Einigung der germanischen Stämme zum gemeinsamen Widerstand, der den Gegner im unwegsamen Teutoburger Wald unvorbereitet trifft.
Sowohl bei der Uraufführung des Stückes auf der Freilichtbühne Nettelstedt 1934, bei den Würdigungen im Rahmen der Festwoche zum hundertsten Todestag Grabbes in Detmold 1936 wie auch bei den zahlreichen Inszenierungen der „Hermannsschlacht“ in den Folgejahren u.a. in Berlin, Aachen, Düsseldorf, Leipzig, Bielefeld, Münster und Bochum wurde das Werk nationalistisch akzentuiert und war nach 1945 auf den Bühnen verpönt. Erst 1995 nahm sich Armin Petras am Chemnitzer Schauspielhaus des Dramas wieder an.
Nun wird das Stück anlässlich des Varusjahres 2009 gleich an drei Bühnen in der Region um den Teutoburger Wald, in Bielefeld, Detmold und Osnabrück aufgeführt. Den Anfang macht Detmold, wo auch der „Mythos“-Teil der großen historischen Ausstellung „Imperium-Konflikt-Mythos“ zum Thema gezeigt wird. „Hermannsschlacht - eine deutsche Betrachtung“ (Premiere 5. Februar 2009), erschließt, basierend auf Grabbes Stück, Ursprung und Wirkung eines nationalmythischen Stoffs. Grabbes Werk wird in der Detmolder Neuinszenierung von Intendant Kay Metzger, auf wesentliche Personen und Handlungsstränge reduziert, mit Texten und Klangbeispielen konfrontiert zu Vaterlandsliebe und Feindeshass, Kameradschaft und Gefolgschaftstreue einerseits und Kriegstrauer und -ächtung andererseits, um bestimmte thematische Konstanten, charakteristische Ausdrucksformen von Kriegsdichtung und Aspekte der Rezeption kenntlich zu machen.
Zudem, und dies ist ein weiteres Augenmerk der Inszenierung, verweist die dichterische Geschichtsschreibung Grabbes, seine Kriegsliteratur von Strategie, Kampf und Sieg technisch „Unterlegener“ auf ein hochbrisantes weltpolitisches Thema unserer Zeit, den terroristischen Kampf zwischen Okzident und Orient. Im dritten Jahrtausend nach Augustus werden die schwergepanzerten, hochgerüsteten Verteidigungs- und Angriffsapparate der westlichen Demokratien mit Ideen und Mitteln der Guerillakriegsführung durch einen dezentral und versteckt agierenden Feind angegriffen, der das Ethos des Befreiungskampfs gegen fremd-politische Eingriffe behauptet, die einer vermeintlich rückständigen Glaubens, Rechts- und Staatsform zivilisatorische Werte beibringen wollen, wobei Hass, Rache, unversöhnliche Feindschaft, Gnadenlosigkeit die Auseinandersetzung bestimmen und die propagierten Werte untergraben.
So versteht sich die „deutsche Betrachtung“ zur Hermannsschlacht nicht lediglich als erhellender historischer Rückblick, sondern als prononcierte künstlerische Äußerung, provozierende Stellungnahme zu unserer Vergangenheit und aktuellen Lebenswirklichkeit gleichermaßen.
HermannAlexander Frank Zieglarski
VarusHenry Klinder
ThusneldaKerstin Hänel
PrätorDominic Betz
SchreiberValentin Stroh
Römer / AugustusManfred Baum
N. N.
Leo SchlageterRobert Bittner
Friedrich ThiemannDominic Betz