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"Die Kopien" von Caryl Churchill im Landestheater LInz

Ein Schöpfungsdrama, Premiere 26. September 2008, um 20.00 Uhr im Eisenhand

Irgendwas lief schief. Eine Familie fiel auseinander, die Mutter starb, der Vater trank, ein Kind wurde schwierig. Der Vater traf eine schwerwiegende Entscheidung. Um noch mal neu zu beginnen, gab er das Kind weg und ließ dasselbe noch einmal identisch herstellen.

35 Jahre später: Der inzwischen erwachsene Klon Bernard muss durch Zufall seine ihm bisher verborgene Vergangenheit entdecken; dass er eine Kopie ist, die der Mann, den er für seinen natürlichen Vater hielt, anfertigen ließ. Aber nicht nur das, er muss sich damit auseinandersetzen, dass neben dem natürlichen Sohn noch zwanzig weitere Klone existieren, die alle wie er sind … und doch nicht.

Bernard kehrt zum Vater zurück und möchte Antworten auf ein unbegreifliches Geschehen. Es werden Fragen gestellt, die niemals gestellt wurden. Vater und Sohn scheinen sich gut zu kennen, blind zu verstehen, und doch gibt es schwerwiegende Geheimnisse und unüberwindbare Abgründe zwischen ihnen. Hat der Vater versagt? Warum hat er keine neue Familie gegründet? Was ist das für ein Mensch, der sich für eine solche Tat entscheidet? Und was ist mit dem ersten, dem natürlichen Sohn und mit der Mutter wirklich geschehen? Wie ist Flucht vor der Vergangenheit möglich, wenn alles an dem neuen Sohn aussieht wie beim ersten Sohn? Bernard möchte die Gründe des Vaters verstehen, aber statt Gewissheit häufen sich Lügen und Halbwahrheiten die vor noch größeren Wunden und Monstrositäten schützen. Die Situation spitzt sich endgültig zu, als der totgeglaubte Sohn auftaucht.

Churchill zeichnet mit sehr sparsamer und präziser Sprache eine Vater-Sohn Beziehung, die in ihren Grundfesten erschüttert wird. Sie benutzt einen Ausblick auf den Durchbruch der Klontechnologie, um ein Bild des Zustands unserer heutigen Gesellschaft zu zeichnen. Mit dem Anspruch an Selbstverwirklichung verändern sich auch die Erwartungshaltungen den eigenen Kindern gegenüber. Dem Menschen wird ein immer größeres Maß an Planbarkeit und Optimierung suggeriert und zugänglich gemacht. Bereits begangene Fehler können scheinbar problemlos rückgängig gemacht werden. Diesen Weg wählt der Vater, aber er entkommt seiner Vergangenheit nicht. Ohne moralische Verurteilung lässt uns Churchill mit ihrem bewusstseinserweiternden Stück an einem spannenden, albtraumähnlichen Gedankenprozess teilhaben, in dem ganz nebenbei die Frage gestellt wird, was mit dem Menschen passiert, wenn er wie selbstverständlich an Gottes Stelle zum Schöpfer wird.

„Caryl Churchills dramatischer Text ist die Beschreibung einer doppelten Domestizierung. Die mehrfach verdoppelte Figur des Sohnes Bernard wird in drei erfahrbaren Ausformungen von der leidenschaftlich–aggressiven über die verständig–melancholische zur widerstandslos–glücklichen Natur des Menschen geführt. Während der Vater, anfänglich sich wehrend, keinen Weg aus der von ihm selbst verursachten Krise findet und sich zuletzt nur still in sein Schicksal fügen kann. Zwar erscheint der Vater gemessen am Sohn als das selbstbestimmtere, souveränere Wesen: Er war es, der die Entscheidung für eine Vervielfältigung des Sohns fällte. Dem Sohn wird dadurch eindeutig die Opferrolle zugewiesen. In der weiteren Folge zeigt sich aber, dass der Vater keinerlei Instrumentarium zur Verfügung hat, um mit der gefällten Entscheidung frei zu leben. Und nachdem sich zwischen den Söhnen die Geschichte von Kain und Abel wiederholt, wird auch der Vater zum Opfer. In seinem „Zuhause“ erstarrt, ist er ausschließlich zur Reaktion fähig. Die Ambivalenz einer Lebensgestaltung durch technischen Fortschritt, ohne die Berücksichtigung moralischer und ethischer Kriterien, wird erkennbar: Wie frei ist ein Mensch, der nicht nur keinen Gott hat, sondern selbst zum Schöpfer der eigenen Art geworden ist? Gefangen im weiten Feld der Möglichkeiten, sitzen der Vater und Bernard am Ende gleichgültig–glücklich beziehungsweise gleichgültig–verwirrt nebeneinander. Vater und Sohn ohne den heiligen Geist. Die Leidenschaften sind Vergangenheit, die Träume ausgeträumt. Ein bürgerliches Drama, in dem nach dem Kampf der Generationen, nach Leiden, Mord und Totschlag zuletzt scheinbar ewiger Frieden herrscht und Ruhe. Ein entropisches Paradies. Und wo ist das Glück geblieben? Aus der Tiefe der menschlichen Seele ist es schließlich an die Oberfläche profaner Alltäglichkeiten gespült worden.“

(Christian Wittmann)

Inszenierung Christian Wittmann

Bühne und Kostüme Jeanne Gröllmann

Musik zeitblom

Dramaturgie Franziska Kramer

Mit

Klaus Köhler (Bernard 2, Bernard 1, Michael Black), Stefan Matousch (Salter);

Irene Kepl/ Andrea Duka-Löwenstein (Geige)

Weitere Vorstellungen

September 2008

Mo 29

Oktober 2008

Fr 3, Sa 4, Sa 11, Sa 18, Sa 25., Fr 31

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