Mit Ehrfurcht und Respekt liest man – wenn man die Muße und die Zeit hat – das Drama um Faust und Mephisto, das einen mit auf eine Reise durch Zeit und Raum nimmt. Dreitausend Jahre Kulturgeschichte – vom trojanischen Krieg bis zur industriellen Revolution – lässt Goethe in seinem Faust II Revue passieren und konfrontiert seinen „Helden“ mit realen, phantasmagorischen und allegorischen Figuren und Welten bis letztlich der erblindete alte Faust stirbt und am Ende seines Lebens sogar Himmel und Hölle über seine Seele in Streit geraten.
Schon im ersten Teil hatte Mephisto seinem Gefährten Faust verraten: „Wir sehn die kleine, dann die große Welt.“ In der Fortsetzung nun hatte Goethe die Absicht, seinen Faust „in höhere Regionen, durch würdigere Verhältnisse“ zu führen. In der veränderten Szenerie des zweiten Teils, zeigt sich Goethe nunmehr als fortschrittsorientierter
Dichter und Staatsmann, dessen Themen, Ideen und Visionen bis in unsere Gegenwart reichen.
1832, also in seinem letzten Lebensjahr schloss Goethe sein gesamtes Faust-Werk ab, mit der Maßgabe, dass Faust II erst nach seinem Tod veröffentlicht werden sollte. Und so ist dieser zweite Teil das Drama des alten Faust. In der Linzer Inszenierung schreibt der alte Faust als Johann Wolfgang Goethe seinen zweiten Teil, involviert sich in die tatsächlichen und imaginierten Welten, erinnert sich, vergisst und scheitert, auch wenn seine Seele letztendlich nicht dem Teufel anheimfällt.
Faust II ist ein Drama des Erinnerns und des Vergessens. Fausts Reise durch die „große Welt“ beginnt mit einem Heilschlaf. Die Tilgung des früher Erlebten - der Gretchen-Tragödie – aus dem Gedächtnis erscheint geradezu als Voraussetzung, die eigene Existenz in ungeahnte Höhen zu katapultieren. All diese Welten entstehen im Kopf des alten Goethe und so „jetten“ Faust und Mephisto durch Zeit und Raum – mal vor, mal zurück „gebeamt“. Gleich finden wir die beiden im Mittelalter am kaiserlichen Hof, konfrontiert mit den katastrophalen Zuständen im Staat. Und Mephisto in der Figur des Narren löst – zumindest kurzfristig - die Probleme mit der Einführung von Papiergeld. Wenn’s so leicht geht, kann die „Party“ weitergehen und wir erleben eine Parade mit mythologischen und allegorischen Figuren. Und gleich sind sie wieder – Jähre später – in der Studierstube und der alte Famulus Wagner, bastelt am neuen Menschen, während es für Faust und Mephisto gleich wieder zurück geht in die antike Welt, wo sie auf Hexen und Nymphen treffen und schließlich auf Helenas Spur geführt werden.
Mit der Idee, die antike Heldin Helena auftreten zu lassen, begibt sich Goethe in die Welt der griechischen Mythologie: „Es ist eine meiner ältesten Konzeptionen“, schreibt Goethe 1826 an Humboldt, „sie ruht auf der Puppenspiel-Überlieferung, dass Faust den Mephistopheles genötigt, ihm die Helena zum Beilager heranzuschaffen.“ Die Figur der Helena bleibt dabei nicht nur mythologische Gestalt, sondern sie spiegelt in sich das Gretchen aus dem ersten Teil von Goethes Faust wider. So wird auch in der vermeintlichen Hinrichtung Helenas, dem Urteil über Gretchen aus dem ersten Teil ein Bild gegeben. Die schöne Helena gerettet, werden Faust und seine Begleiter abermals in eine andere Welt entrückt.
Goethes leidenschaftlich teilnehmendes Interesse an den neu errungenen Technologien des Industriezeitalters und der immer weiter bestehenden Faszination des Dichters an gewaltigen, den Menschen beschneidenden, Naturereignissen zeigt sich im faustischen Plan, die Elemente zu bändigen und dem Meer durch Dammbauten fruchtbares Land abzuzwingen.
Mit strebsamem Starrsinn scheut Faust bei der Verwirklichung dieser Pläne auch nicht davor zurück, das alte Ehepaar Philemon und Baucis von ihrer Heimat abzusiedeln. Gemeinsam mit Mephisto, der Fausts Befehle auf seine Art löst, geht er in seinem Tatendrang über Leichen. In einem Zeitalter der in Deutschland beginnenden Industrialisierung, in dem große Dampfmaschinen Antrieb und Intensität einer Wirtschaft bestimmten, begannen nun ganz plötzlich auch Begriffe wie Kapital, Gewinn, Rohstoff, Profit und höhere Erträge eine größere Rolle zu spielen. Goethe greift diese Entwicklungen seiner Zeit auf und lässt Faust somit als Kolonialisten auftreten.
Typisch für den Faust des zweiten Teils treibt dieser seine gefassten Entschlüsse und Pläne unerbittlich voran. So bemerkt er – im Angesicht des Todes – nicht mehr, dass er sich mit den Befehlen, das Meer weiter trocken zu legen, schon sein eigenes Grab schaufeln lässt. Fausts letzte Reise bricht nun an, wenn er die Worte äußert: „Zum Augenblicke dürft’ ich sagen: Verweile doch du bist so schön“. Nun glaubt auch Mephisto am Ziel seiner Reise angelangt zu sein und sich nun endlich Herr über Fausts Seele nennen zu dürfen – doch Gottes Wort ist noch nicht gesprochen.
Mit dem zweiten Teil seiner Faust-Tragödie hat Goethe ein Universalwerk geschaffen, das Ahnung von vergangener Geschichte und Zukunft in sich birgt.
Inszenierung David Mouchtar-Samorai
Bühne Heinz Hauser
Kostüme Urte Eicker
Musik Ernst Bechert
Choreographie Otto Pichler
Dramaturgie Franz Huber
Mit: Karin Enzler, Katharina Hofmann, Isabella Szendzielorz, Wanda Worch, Thomas Bammer, Georg Bonn, Klaus Köhler, Stefan Matousch, Johann Schiefer, Vasilij Sotke, Guido Wachter
Weitere Vorstellungen:
März 2009
Di 17, Sa 21, Fr 27
April 2009
Mi 1, Do 2, Sa 11, Mi 15, Do 16, Mi 22, Do 23, Sa 25