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HEIMAT als Festivalthema im Theater Chemnitz

5. und 6. Oktober 2007

 

HEIMAT ist das diesjährige Thema des Chemnitzer Kulturfestivals „Begegnungen“, an dem sich das Schauspiel Chemnitz mit vier Inszenierungen beteiligt. Viermal Heimat also an einem Ort, den Tabori selbst als den einzigen Ort bezeichnete, der für ihn, den Weltbürger, Heimat bedeutete: die Bühne.

 

An zwei Abenden, dem 5. und 6. Oktober 2007, wird sich das Theater auf verschiedenen Bühnen diesem Ort aus vier verschiedenen geistigen Himmelsrichtungen zu nähern.

 

5. Oktober 2007 Balladen

Eine verlorene Sprache

19.30 Uhr, Probebühne im Schauspielhaus

 

Meine Kämpfe

Szenische Lesung mit Texten von George Tabori

19.30 Uhr, Unterbühne im Schauspielhaus

 

Der Kick

von Andres Veiel und Gesine Schmidt

21.20 Uhr, Kleine Bühne im Schauspielhaus

 

6. Oktober 2007 Uraufführung

Spur der Steine

Stück von Sascha Hawemann

nach dem gleichnamigen Roman von Erik Neutsch

19.30 Uhr, Große Bühne im Schauspielhaus

 

Programmbeschreibung

 

...worin noch niemand war: Heimat

 

Balladen

Eine verlorene Sprache

 

5. Oktober 2007, 19.30 Uhr, Probebühne im Schauspielhaus

 

Regie: Katja Paryla

Musikalische Leitung: Alexander Suckel

Bühne: Wilfried Buchholz

 

mit Melina von Gagern, Ivan Gallardo, Bernhard Klampfl, Klaus Schleiff, Stefan Schweninger

 

Der Balladenabend widmet sich der sprachlichen und literarischen Tradition. Der Wunsch, unerhörte Begebenheiten und/oder geschichtliche Ereignisse in gereimte, sing- oder rezitierbare knappe Form zu bringen, ist uralt. Aber ein gelesenes Gedicht war schon immer nur ein halbes. Was liegt näher, als diese kleinen Sprachkunstwerke aus vier Jahrhunderten mit singenden und sprechenden Schauspielern zum Leben auf der Bühne zu erwecken? Auf unserer Reise durch die Zeiten begegnen wir einem riesigen Spektrum an deutschen Balladen – vom Volkslied bis zu Hebbels „Heideknabe“, der fast schon ein Minidrama ist, weiter zu Brecht und seinen Seeräubern, die sich gegen Gott und die ganze Welt auflehnen, von den tieftraurigen Liedern der Zeit des Dreißigjährigen Krieges über Heines Ironie bis zu den Zweiflern nach dem letzten Krieg. Das Programm wird zu einem Streifzug in die verschütteten Erinnerungen der deutschen Vergangenheit - in einer Sprache, die sich immer wieder neu entdecken lässt.

 

Meine Kämpfe

Szenische Lesung mit Texten von George Tabori

 

5. Oktober 2007, 19.30 Uhr, Unterbühne im Schauspielhaus

 

Regie: Alexander Hetterle

Bühne: Wilfried Buchholz

 

mit Maike Jebens, Alexander Hetterle, Michael Pempelforth

 

Die Versöhnung mit dem Trauma deutscher Vergangenheit ist das Thema der parallel zum Balladenabend stattfindenden szenischen Lesung. Taboris berühmtes Bühnenstück „Mein Kampf“ wurde hierfür mit seiner Prosafassung „Meine Kämpfe“ kombiniert.

 

Ein Obdachlosenheim in Wien, Winter 1909/10. Tagsüber schläft der nachtaktive Bücherhöker Schlomo Herzl im Bett seiner „arbeitenden“ Mitbewohner. Somit ist er der Erste, dem der Neue begegnet; der kommt aus Oberösterreich und möchte an die Kunstakademie. Der Neue entpuppt sich im Laufe der Zeit als ziemliche Belastung. Selbstgerecht projiziert er sein Versagen immer wieder auf andere - und da niemand weiter da ist, trifft es den jüdischen Mitbewohner. Nachdem die Kunstakademie ihn ablehnt, entschließt sich der Neue, in die Politik zu gehen. Hier hat er einen verheerenden „Erfolg“, bis er sich in der Reichskanzlei 1945 mit seinem Hund und seiner Langzeitverlobten vergiftet.

 

Der kürzlich verstorbene George Tabori hatte für die Aufführung am Wiener Burgtheater seine mit viel bösem jüdischen Witz gepfefferte Erzählung dramatisiert und damit sein erfolgreichstes Theaterstück geschaffen. Geboren wurde Tabori 1914 in Budapest. 1932 sollte er eine Hotelierslehre in Deutschland beginnen, die ihn von Berlin nach Dresden führte, doch ein Jahr später gab es für einen ungarischen Juden keine Aussichten mehr in diesem Land, deshalb reiste er weiter nach Prag und Wien. Schließlich landete er in England, wurde englischer Staatsbürger, arbeitete in den USA. Ab 1971 lebte er als Theatermacher in Deutschland und Österreich.

 

Der Kick

von Andres Veiel und Gesine Schmidt

 

5. Oktober 2007, 21.20 Uhr, Kleine Bühne im Schauspielhaus

 

Regie: Tilo Krügel

Video: Sirko Knüpfer

Bühne: Wilfried Buchholz

 

mit Sabine Fürst, Antje Weber, Karl Sebastian Liebich

 

Nach den Rückblicken in die jüngere und ältere Vergangenheit liegt der Schwerpunkt dieser 3. Premiere auf der kritische Auseinandersetzung mit dem Jetzt-Zustand großer Teile des Landes.

 

„Der Kick“ ist ein schockierendes Theaterstück, das der Dokumentarfilmer Andres Veiel mit der Dramaturgin Gesine Schmidt entwickelte. Im April 2005 am Theater Basel und am Maxim-Gorki-Theater Berlin uraufgeführt, befasst es sich mit einem Mord im Brandenburgischen Potzlow: Im Juli 2002 quälen und demütigen drei Jugendliche den 16-jährigen Marinus Schöberl stundenlang und töten ihn dann mit einem gezielten Sprung auf den Kopf. Obwohl es Zeugen gibt, wird der Fall erst Monate später aufgeklärt.

 

Der Theatertext beruht auf 1500 Seiten Gesprächsprotokolle, die die beiden Autoren während ihrer siebenmonatigen Recherche anfertigten. Es kommen mit Originalaussagen sowohl zwei der Täter selbst als auch Freunde, Verwandte und Bekannte von Tätern und Opfern gleichermaßen zu Wort. Die Schauspieler leihen ihre Stimmen jeweils verschiedenen Personen. So entsteht ein Gewebe sich durchkreuzender Aussagen, in dem das Bild einer kleinen Stadt entsteht und ihrer Einwohner, ihrer Angst, Feigheit und Hilflosigkeit. Keine Erklärungen, nur ein genaues Hinhören, unaufgeregt und bohrend. Der Dostojewski’sche Satz „Auch ihn hat eine Mutter geboren“ wird fast zum Grundgedanken dieser bestürzenden Recherche humaine.

 

Uraufführung

Spur der Steine

Stück von Sascha Hawemann nach dem gleichnamigen Roman von Erik Neutsch

 

6. Oktober 2007, 19.30 Uhr, Große Bühne im Schauspielhaus

 

Regie: Sascha Hawemann

Bühne und Kostüme: Lina Antje Gühne

 

mit Tobias D. Weber (Balla), Michael Pempelforth (Horrath), Maike Jebens (Kati Klee), Stefan Wancura (Trutmann), Klaus Schleiff (Jansen), Melina von Gagern (Marianne) u.a.

 

Mit „Spur der Steine“ wird theatralisch der Kreis geschlossen: Vergangenheit wird auf der Bühne Gegenwart, die auf amüsante und kraftvolle Art eine Perspektive auf die Zukunft eröffnet.

 

Schkona, eine Großbaustelle Anfang der 60er Jahre: Hannes Balla und sein Bautrupp kassieren für ihre Eskapaden öfter mal eine Rüge, aber sie arbeiten so gut wie keine andere Brigade. Gerade ist Werner Horrath neuer Parteisekretär auf der Baustelle geworden, als Kati Klee als Ingenieurin nach Schkona kommt. Während Balla für seine etwas grobe Annäherung eine Ohrfeige fängt, entwickelt sich zwischen Horrath und Kati eine Liebesgeschichte.

Horrath soll auf der Baustelle für Ordnung zu sorgen, Misswirtschaft und laxen Materialgebrauch aufdecken. Auch Balla steht zunächst auf der Liste der zu behebenden Missstände. Nach und nach erkennen beide Männer die Qualitäten des anderen und lernen sich zu respektieren, der kompromisslose Idealismus eint sie gegen Bürokratie und Phlegma der Funktionäre. Doch Horraths Liebe, die plötzlich zur Parteisache wird, stellt nicht nur die Freundschaft der beiden Männer auf die Probe. Es kommt zum Parteiausschlussverfahren; Horrath endet als gestrandeter Hilfsarbeiter. Kati Klee und Balla verlassen Schkona, enttäuscht und der Illusionen beraubt, die Liebe und Idealismus wohl mit sich bringen – und doch bereit, sich an einem besseren Ort wieder einem neuen Traum hinzugeben.

 

Der Roman „Spur der Steine“ von Erik Neutsch erschien 1964. Die Schilderung des DDR-Alltags entsprach zwar nicht gerade dem von der SED propagierten Bild, dennoch durfte das Buch erscheinen und war einige Zeit sogar vorgeschriebener Schulstoff. 1965 wurde der Roman von Frank Beyer mit Manfred Krug verfilmt und kam 1966 heraus. Doch lief er nur drei Tage in den Kinos, anschließend verschwand er für 23 Jahre im Panzerschrank - und erlangte nicht zuletzt dadurch Kultstatus.

 

Regisseur Sascha Hawemann hat sich schon lange für den Stoff begeistert. Diese Geschichte über Menschen, denen es „um etwas geht“, die für etwas kämpfen, auch wenn sie scheitern – das ist etwas Ermutigendes in einer Zeit, in der die Frage nach Sinn und Sinnlosigkeit oft nur unentschieden beantwortet wird, in der vieles zur privaten Sache jenseits von gesellschaftlichen Fragen geworden ist und die individuelle Verlorenheit eins der größten gesellschaftlichen Probleme darstellt. Im Auftrag des Kulturfestivals „Begegnungen“ und der Theater Chemnitz hat Hawemann nun den Stoff für die Bühne adaptiert.

 

 

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