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Johann Nestroys Zauberposse „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ im Theater in der Josefstadt Wien

Premiere Do, 15. September 2011, 19.30 Uhr. -----

 

Der abergläubische, versoffene, brutale Knieriem, der eitle, arbeitsscheue, zum Parasiten prädestinierte Zwirn gehörten einem neuen Zeitalter an, einer Gesellschaft der Herunter- und Emporgekommenen.

Leim, der dritte Kumpan, sorgte durch seine Bravheit für Kontrast; doch selbst in dieser guten Haut steckte schon, als übler Kern, der künftige Parvenü. Durch das verfallende Mittelalter fegte ein kalter Wind. Die Mauern von Zoll und Zensur, rings um Österreich vermochten ihn nicht aufzuhalten. Sie hatten nur zum Ergebnis, daß Sterbendes langsamer starb, Entstehendes stockender entstand; die Krise in Permanenz. Über dem liederlichen Kleeblatt leuchteten nicht mehr wunderbare Gestirne. Das fahle Licht des Kometen fiel auf sie, des Weltuntergangs, den der wüste Knieriem voraussagte.

Nestroy spielte den Knieriem, "mit der kolossalsten Komik, mit einer alle Schranken durchbrechenden Energie, die Maske, bis über die Grenze der Charge, bis zur Fratze getrieben, hat kaum mehr ein menschliches Ansehen..." Das Elend nahm überhand. Arbeiter wurden entlassen. Das Land war von "ausweislosem Gesindel", von Bettlern und Vagabunden überschwemmt. Teuerung gab's und Tumult. Die Vorstadt drohte.

 

Das Publikum klatschte, lachte, schrie. "Herrn Nestroys Lied über den Untergang der Welt", meldete die "Theaterzeitung" am 13. April 1833, "ein Scherz voll der witzigsten und zeitgemäßesten Pointen, machte Furore." Während dies im Theater vor sich ging, forderten die Kreishauptleute einschneidende Maßnahmen gegen die Landstreicherei. Der Adel versank in Schulden, Unternehmer wurden zu Bankrotteuren. Die hohe Bürokratie berichtete dem Minister Kolowrat, im Mittelstand sei "die Tendenz zur Verdrängung alles Höheren und Stabilen" wahrzunehmen. Es ging auf den Ruin zu. Das Lied vom Untergang der Welt machte Furore.

 

Im Komischen richtete sich das Drohende auf. Das Gelächter klang wie Revolte. Lange Zeit war die Bühne Schauplatz von Zauberstücken jenseits der Wirklichkeit. Plötzlich, aus magischem Spiegel, schnitt diese verdrängte Wirklichkeit dem Publikum Grimassen. In der Tat war Nestroy dem sogenannten Volkscharakter nicht auf den Leim, sondern auf den Grund gegangen. Er hielt gesellschaftlicher Niedertracht den Spiegel vor, worauf der Spiegel bezichtigt wurde, er habe die Wirklichkeit hervorgebracht. Im Zeitalter zwischen Feudalordnung und Kapitalismus roch er nicht nur den Moder der Vergangenheit, sondern witterte auch, wie Karl Kraus gesagt hat, "die Morgenluft der Verwesung". Er widersprach allem, was Österreich zu sein vorgab. Er war nicht gemütlich, sondern zerriß die fadenscheinige Gemütlichkeit. Er hielt weder den Verfall der ständischen noch den Aufstieg der kapitalistischen Welt für schön und rühmenswert. Er stach das "Geschwollene" auf und ließ es zur leeren Hülse zusammenschrumpfen. Es war die Aggressivität des Hanswurst, auf die Nestroy zurückgriff. Das nur Komische des Hanswurst erhob er zur Potenz des Witzes. Sein Werk war die Revolte plebejischer Intelligenz, er selbst ein Jakobiner der österreichischen Vorstadtbühne.

 

Das Theater an der Wien kündigte an: "Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt. Zauberposse in drei Akten von Johann Nestroy." Vor dem Theaterzettel stand kopfschüttelnd der melancholische Schauspieler und Poet Ferdinand Raimund: "So einen gemeinen Titel hätte ich nicht niederschreiben können." Drei Jahre später erschoß er sich, in panischer Angst vor dem Biß eines Hundes, den er für toll hielt. Die Schauspieler des Leopoldstädter Theaters sagten, nicht am Biß dieses Hundes, sondern an Nestroy sei Raimund gestorben. Das böse Gerücht war zu widerlegen; doch unwiderlegbar war der Sieg eines großen Satirikers über das alte romantische Zauberstück. Der Erfolg war enorm. Das Publikum jubelte Nestroy zu. Der laute Beifall übertönte ein leises Unbehagen. Diese drei wandernden Gesellen Knieriem, Zwirn und Leim waren nicht mehr romantische Gestalten, nicht mehr die liebenswürdigen Landstreicher Eichendorffs.

 

Regie

Georg Schmiedleitner

Bühnenbild

Florian Parbs

Kostüme

Nicole von Graevenitz

Musik

Sofa Surfers

 

Stellaris, Feenkönig

Alexander Waechter

Fortuna, Beherrscherin des Glücks, eine mächtige Fee

Lotte Ledl

Brillantine, ihre Tochter

Maria Urban

Amorosa, eine mächtige Fee, Beschützerin der wahren Liebe

Marianne Nentwich

Mystifax, ein alter Zauberer

Gideon Singer

Hilaris, sein Sohn

Bernd Ander

Fludribus, Sohn eines Magiers

Marianne Chappuis

Lumpazivagabundus, ein böser Geist

Erni Mangold

Leim, ein Tischlergeselle

Rafael Schuchter

Zwirn, ein Schneidergeselle

Florian Teichtmeister

Knieriem. ein Schustergeselle

Martin Zauner

Pantsch, Wirt und Herbergsvater in Ulm

Alexander Waechter

Fassl, Oberknecht in einem Brauhaus

Gideon Singer

Sepherl, Kellnerin

Susanna Wiegand

Hannerl, Kellnerin

Therese Lohner

Ein Hausierer

Erni Mangold

Ein Tischlergesell

Erni Mangold

Strudl, Gastwirt „Zum goldenen Nockerl“ in Wien

Alexander Waechter

Hobelmann, Tischlermeister in Wien

Toni Slama

Peppi, seine Tochter

Daniela Golpashin

Anastasia Hobelmann

Susanna Wiegand

Ein Fremder

Erni Mangold

Gertrud, Haushälterin in Hobelmanns Haus

Lotte Ledl

Reserl, Magd daselbst

Therese Lohner

Ein Fotograf

Erni Mangold

Erster Bedienter bei Zwirn

Gideon Singer

Zweiter Bedienter bei Zwirn

Bernd Ander

Herr von Windwachel

Erni Mangold

Signorina Palpiti

Marianne Nentwich

Camilla, ihre Tochter

Susanna Wiegand

Laura, ihre Tochter

Therese Lohner

Sofa Surfers

Wolfgang Schlögl,

Wolfgang Frisch,

Markus Kienzl,

Michael Holzgruber

 

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