Faust I spielt im historischen Milieu des mittelalterlichen Gelehrten und der kleinen bürgerlichen Welt von Margarete. Die Zeitdimensionen sind fassbar und die räumlichen Zusammenhänge stringent. Mit fest zugeordneten Rollen und durchwegs theaterhaften Bühneneffekten stellt die Inszenierung den originalen Text in den Vordergrund und bekennt sich zu einem verspielten Theateranachronismus. Ganz anders Faust II, bei dem sich sämtliche Gesetze von Zeit und Raum auflösen und nicht mehr einzelne Schicksale, sondern ganze Menscheitsbewegungen in den Blick geraten.
An die Stelle des Anspruchs, das Ganze als in sich geschlossenes Theaterstück spielen, tritt hier der offengelegte Prozess einer Annäherung. Den nicht mehr für die Bühne gedachten Bildwelten nähern sich Kameraaugen an, die im Zusammenspiel mit den Akteuren und Objekten auf der Bühne einen Bilderreigen auf vier Leinwände zaubern. Die Inszenierung sucht mit wechselnden Rollen und verschiedenen erzählerischen Ansätzen einen Weg durch das Dickicht von Fabeln, Symbolen und Allegorien und stösst dabei auf aktuelle Themen wie die Erzeugung des künstlichen Menschen, Schönheitsideale und die Wirtschaftskrise.
Faust I
Der Universitätsprofessor Heinrich Faust ist verzweifelt. Nichts befriedigt seine ausufernde Sehnsucht nach tiefem Wissen, höherem Dasein und bahnbrechenden Taten. Das Leiden an den Beschränkungen seiner Existenz treibt ihn bis kurz vor den Selbstmord. Da besucht ihn das Teufelswesen Mephistopheles und bietet ihm einen Pakt an: Er stattet Faust mit übermenschlichen Fähigkeiten aus. Dafür fällt ihm Fausts Seele zu, wenn dieser ans Ziel seines Strebens gelangt und sich für einen Moment mit der Gegenwart aussöhnt. Mit Mephisto beginnt Faust eine Reise durch die Welt, die ihn zu Gretchen führt. Im Rausch seiner Allmacht, mit entfesselter Begierde und blind durch ständiges Idealisieren verschuldet Faust eine fatale Kette von Ereignissen: Er schwängert das unschuldige Bürgermädchen und lässt es danach im Stich. Gretchens Mutter, ihr Bruder und das neugeborene Kind lassen dabei ihr Leben, und sie selbst wird zum Tod verurteilt. Als Faust sie aus dem Kerker retten möchte, ist es schon zu spät. Gretchen hat sich entschieden, für ihren Teil der Schuld zu büssen.
Faust II
Faust wird im Schlaf durch Elfen von Erinnerungen und schlechtem Gewissen befreit. Kaum aufgewacht, treibt ihn sein Streben weiter, an den Hof des Kaisers. Mithilfe von Mephisto rettet er das marode Reich kurzfristig durch die Erfindung des Papiergeldes. Danach macht ihn Mephisto zum Zeugen der Erschaffung des Homunkulus, der ihm den Weg ins antike Griechenland weist. Hier sucht Faust die Erfüllung seines Sehnens in der Gestalt von Helena, dem schönsten Wesen auf Erden. Doch auch das Glück mit ihr dauert nur einen traumhaften Augenblick. Faust wendet sich wieder weltlichen Taten zu und gewinnt für den Kaiser mit unlauteren Methoden einen Krieg, was ihm die Verwaltung der Reichsküste einträgt. Er baut Dämme, legt Land trocken und gründet Siedlungen, ohne Rücksicht auf Verluste. In seiner Verblendung merkt Faust nicht, dass Mephisto schon sein Grab schaufeln lässt. Faust ist zum ersten Mal mit dem Erreichten zufrieden und stirbt. Doch Mephisto wird um seine Beute betrogen: Im letzten Moment entführen Engel Faust Seele, für die Gretchen sich eingesetzt hat, himmelwärts.
Regie: Matthias Hartmann
Bühnenbild: Volker Hintermeier
Kostüme: Johanna Lakner
Licht: Peter Bandl
Video: Stephan Komitsch, Hamid Reza Tavakoli
Musik: Jörg Gollasch, Arno Waschk
Dramaturgie: Plinio Bachmann, Barbara Sommer
Heinrich Faust
Tobias Moretti
Mephistopheles
Gert Voss
Gretchen
Katharina Lorenz
Marthe Schwerdtlein
Maria Happel
Lieschen
Yohanna Schwertfeger
Valentin
Franz Csencsits
Der Herr
Ignaz Kirchner
Schüler
Simon Kirsch
Wagner
Dietmar König
Raphael
Peter Matic
Gabriel
Hermann Scheidleder
Brandner
Stefan Wieland
Besetzung Faust II
Simon Kirsch
Peter Knaack
Dietmar König
Joachim Meyerhoff
Tilo Nest
Caroline Peters
Yohanna Schwertfeger
Stefan Wieland