Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Julia Kandzora gewinnt mit „In Neon“ den Leonhard-Frank-Preis 2010Julia Kandzora gewinnt mit „In Neon“ den Leonhard-Frank-Preis 2010Julia Kandzora gewinnt...

Julia Kandzora gewinnt mit „In Neon“ den Leonhard-Frank-Preis 2010

„Amok“ lautete das Thema der diesjährigen Ausschreibung zum Leonhard-Frank-Preis, der bereits zum 4. Mal vom Mainfranken Theater in Zusammenarbeit mit der Leonhard-Frank-Gesellschaft vergeben wurde.

Am Ende der Langen Nacht der Autoren am 11. Juni, bei der die drei Finalisten in Szenischen Lesungen präsentiert wurden – neben „In Neon“ auch „burn motherfucker“ von Jeanne Dark und „Frau Koma kommt“ von Valentin Werner –, entschied sich die 5-köpfige Jury für Julia Kandzora und ihr Stück In Neon. Der Leonhard-Frank-Preis ist mit 4000,- Euro dotiert.

 

Besonders überzeugte die Jury die sprachliche Präzision des Stückes und die psychologisch tiefgehende Gestaltung der Figuren. Amok ist in diesem Stück ein (Dauer-)Zustand der Gesellschaft, die Figuren stehen unter Hochdruck, man wartet nur darauf, dass sie endlich explodieren – aber das wäre vermutlich schon ein zuviel an Emotion in dieser von Einsamkeit und Orientierungslosigkeit geprägten Welt. „Ungeborgenheit“ nennt DER MANN im Stück diesen Zustand und fragt sich, wieder einmal vergebens auf dem Arbeitsamt wartend (Abteilung Akademiker und Schwerbehinderte), warum denn da keiner AMOK läuft. Und tut es auch selbst nicht. Hin und her gerissen zwischen seinem Freund, der sich längst in einen aus Selbsthilferatgebern und Zeitgeistbibeln gespeisten Zweckoptimismus gerettet hat, der Frau, die eine Art Näheverhältnis (Beziehung) aufzubauen versucht, aber an der Überwindung der Distanz scheitert, und einer körperlosen Stimme, die mit ihren existentiellen Fragen die Einsamkeit und Verlorenheit des Mannes nur noch deutlicher sichtbar macht.

 

Im Hintergrund scheinen Bilder auf, die man aus dem Alltag kennt: ein Mädchen vor dem Joghurtregal in absoluter Überforderung, sich für eine Sorte zu entscheiden und schließlich vor dem Obstregal daran scheitert, die Plastiktüte zu öffnen, um dann an der Kasse zu erkennen, dass das Gerät ihre Geldkarte nicht akzeptiert. Wie der einsame Hund, der immer wieder durch das Bild schleicht, werden diese kleinen Alltagsszenen symptomatisch für die Gesellschaft: eine Gesellschaft unter Hochdruck, die nur darauf wartet, zu explodieren.

 

Die Autorin

 

Die 27-jährige Julia Kandzora stammt ursprünglich aus der Hansestadt Hamburg. Am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierte sie ‚Literarisches Schreiben‘ mit dem Hauptfach ‚Prosa’ auf Diplom. Kandzora schreibt Dramen, Lyrik und Prosa und veröffentlichte bereits das Kinderbuch Sternenbrüder und einen Gedichtband sowie einige Aufsätze in Zeitschriften und Anthologien. Heute lebt und arbeitet Julia Kandzora in Berlin.

2008 gewann sie den Kurzdramenwettbewerb am Schauspielhaus Hamburg und nahm 2009/10 an Drama Pool, einem Projekt des Verlags Proscript mit dem Stück „Zweite Haut2 teil. Mit ihrem Stück „In Neon“ war sie in diesem Jahr bereits zu den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters Berlin eingeladen, wo ihr Stück in einer Werkstattinszenierung präsentiert wurde.

 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 14 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EXPLOSIVE KLANGMISCHUNG -- "Eine florentinische Tragödie" von Alexander Zemlinsky bei NAXOS (BR KLassik)

Nicht sonderlich erfolgreich geriet die Stuttgarter Uraufführung der einaktigen Oper "Eine florentinische Tragödie" von Alexander Zemlinsky im Jahre 1917 unter der Leitung von Max von Schillings. In…

Von: ALEXANDER WALTHER

Die ganze Wahrheit? -- „True Crime“ - Andrey Kaydanovskiy | Hege Haagenrud | Demis Volpi in der Deutschen Oper am Rhein

Drei tänzerische Perspektiven zu Wahrheit und Fiktion: Andrey Kaydanovskiy „Chalk“, Hege Haagenrud „The Bystanders“, Demis Volpi „Non-Fiction Études“  

Von: Dagmar Kurtz

SZENEN OHNE ILLUSIONEN -- "Tosca" von Giacomo Puccini in der Staatsoper Stuttgart

Kann Kunst unsere Wirklichkeit beeinflussen? Diese Frage steht als zentrales Thema im Zentrum der Inszenierung von Willy Decker, dessen Figuren sich in Puccinis "Tosca" in einem schwarzen Kasten…

Von: ALEXANDER WALTHER

RETTET DIE FRAUEN! -- Premiere "Zertretung" von Lydia Haider im Schauspiel Nord STUTTGART

Die 1985 in Oberösterreich geborene Lydia Haider hat hier einen radikalen Text vorgelegt, der zuweilen an Rainald Goetz erinnert. Die zentrale Frage lautet: Wie geht man mit einem System um, das…

Von: ALEXANDER WALTHER

ATEMLOSE HÖHENFLÜGE -- SWR Symphonieorchester mit Busoni und Sibelius im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Zwei unterschiedliche Zeitgenossen standen diesmal im Zentrum: Jean Sibelius und Ferrucio Busoni. Immerhin weiß man, dass beide in Helsinki Schumanns Klavierquintett in Es-Dur gemeinsam musizierten.…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑