Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
MUSIK UND BÜHNE VERSCHMELZEN - "Il barbiere di Siviglia" von Gioachino Rossini in der Staatsoper STUTTGARTMUSIK UND BÜHNE VERSCHMELZEN - "Il barbiere di Siviglia" von Gioachino...MUSIK UND BÜHNE...

MUSIK UND BÜHNE VERSCHMELZEN - "Il barbiere di Siviglia" von Gioachino Rossini in der Staatsoper STUTTGART

am 4. Juli 2023

Das Meisterwerk des "Schwans von Pesaro" (wie Rossini auch genannt wurde) erscheint hier in neuem Licht. In der subtilen Inszenierung von Beat Fäh (die aus dem Jahr 1993 stammt) verwandelt sich ein dunkler Raum in ein rotes Ambiente voller Labyrinthe und optischer Überraschungen. Da fällt ein großes Tuch einfach in sich zusammen.

 

Copyright: Portrait Gioachino Rossini

Man hat zuweilen den Wunsch, dass das Bühnenbild auch noch bunter und abwechslungsreicher sein könnte. Doch es gibt viele schöne Einfälle. Die hübsche Rosina steht hier unter Hausarrest bei ihrem Vormund Doktor Bartolo, der sie eigentlich hauptsächlich wegen ihres schweren Erbes heiraten möchte. Aber die junge Frau macht ihm das Leben immer wieder zur Hölle, was in der Inszenierung in elektrisierender und temperamentvoller Weise sichtbar wird.

Noch ungemütlicher wird es aber für Bartolo, als Graf Almaviva (verkleidet als armer Student) zunächst durch nächtliches Gitarrenspiel den richtigen Ton bei Rosina trifft und mit Hilfe des gewitzten Bartschneiders Figaro gleich mehrfach in vielerlei Verkleidungen in Bartolos Haus eindringt. Da holen die Protagonisten plötzlich ihre Celli aus den Instrumentenkasten - und nach und nach spielen auch die Instrumente des Orchesters auf der Bühne mit. Als Figaro zwischen den streitenden Parteien vermitteln will, kommt es zum Skandal, wobei selbst die Wache von der Straße ins Haus kommt und die Verwirrung noch vergrößert. Dabei erhält diese humorvolle Aufführung eine geradezu satirische Zuspitzung.

Die List des Grafen Almaviva erfährt bei dieser durchaus temperamentvollen und mit viel Ironie arbeitenden Inszenierung immer neue Variationen. Als Vertreter des angeblich erkrankten Musiklehrers Basilio erscheint er im Hause Bartolos, um der reichlich verwirrten Rosina Gesangsunterricht zu erteilen. Als Figaro dem Doktor auf dem holprigen Instrumentenkasten  den Bart schaben will, tritt der krank geglaubte Basilio ins Zimmer. Man versucht ihm einzureden, dass er wegen eines bösen Fiebers ins Bett müsse.

Das Tempo der Inszenierung gewinnt in den Schlusspassagen immer mehr an Fahrt, zumal sich Bühne und Kostüme von Volker Pfüller den Ereignissen in erstaunlicher Weise anpassen. Neben raffinierten Lichteffekten und suggestiver Gewitterstimmung scheint sich auch das rote Labyrinth immer wieder zu verändern. Basilio muss zum Notar eilen, während Bartolo alle übrigen Vorbereitungen zur Heirat mit Rosina trifft. Während eines Gewitters steigen der Graf und Figaro durch ein Fenster des vom Doktor verschlossenen Hauses, um Rosina zu entführen. Sie erfährt nun, dass der Graf und Lindoro ein und dieselbe Person sind.  Graf Almaviva gibt sich als Ehemann von Rosina zu erkennen - Bartolo hat das Nachsehen.

Unter der inspirierenden Leitung von Vlad Iftinca kommt der wahre Figaro von Rossini in mehrerer Hinsicht zu Gehör. Denn die Reize der Opera buffa blühen hier stets neu auf.  Sphärenhafte Leichtigkeit umgibt vor allem die Crescendo-Steigerungen und dynamischen Kontraste. Graziös wirken selbst die zahlreichen komischen Situationen, die in der Musik nicht nur bei den chromatischen Verästelungen und Spitzfindigkeiten auffallen.

Björn Bürger (Figaro) gewinnt seiner Auftrittsarie mit geschmeidigem Bariton mediterranen Geist ab. Michael Nagl als gewiefter Basilio schleudert seine berühmte Verleumdungsarie mit des Basses Grundgewalt in fulminanter Weise hervor. Auch das Quintett "Wie, Basilio?" überrascht hier mit erstaunlichem Spielwitz. Diana Haller brilliert mit überaus wandlungsfähigem und gewaltigem Mezzosopran als Rosina, die dem dreisten Doktor gnadenlos in die Hand beisst. Jose Fardilha als Doktor Bartolo agiert dabei mit virtuosem und panisch gehetztem Bass. Alberto Robert überzeugt ferner mit leuchtkräftigem Tenor als schlagfertiger Graf Almaviva. In weiteren  Rollen gefallen Jorge Ruvalcaba als Almavivas Diener Fiorello, Catriona Smith als Bartolos alte Haushälterin Berta, Kyung Won Yu als Offizier sowie Martin Bäßler als genervter Notar. Auch die Herren des Staatsopernchors Stuttgart (Leitung: Bernhard Moncado) bieten dabei eine famose Leistung.

Auf zahlreiche Details legt Vlad Iftinca als umsichtiger Dirigent des Staatsorchesters Stuttgart großen Wert. Auf den choralen Anfangsteil unter Beteiligung Figaros  und des Grafen folgen das Adagio ("Ecco ridente in cielo") sowie die Stretta der Kavatine ("Tacete! gia veggo") in großer Präzision. Deutlich wird an diesem Abend auch, dass diese Oper mit einem Selbstzitat beginnt, wobei der metrisch-musikalische Scherz nicht untergeht. Rossini hat hier nämlich seine Oper "Sigismondo" in überaus kunstvoller Weise verarbeitet. Die Ouvertüre  besitzt dabei tatsächlich einen unvergleichlichen Charme, dessen Intensität sich ständig steigert. Das atemlos hereinbrechende Hauptthema reisst die Zuhörer in unmittelbarer Weise mit - und auch die Melodie der Bläser gelingt lustig und selbstbewusst.

Insgesamt zeigt sich bei dieser Interpretation in glaubwürdiger Weise der für Rossini so wichtige vorwärtsdrängende Charakter der Musik, deren Grazie und Schwung nicht nachlassen. Diana Haller überrascht sogar noch mit einem "Hojotoho!"-Zitat aus Richard Wagners "Walküre".  Streicher-Pizzicati und Fagott-Staccati werden so dezent und feinnervig musiziert, dass der Zuschauer den Sarkasmus deutlich heraushört. Selbst der Brio-Zauber blitzt immer wieder hervor. Und die "ribatutti" der Klarinetten klingen tatsächlich wie Gewehrsalven. Das Rondo des Grafen im Finaletto besitzt packenden Biss und Grandezza, denn es gelingt Alberto Robert immer wieder, Rossinis brodelnden komödiantischen Hintersinn anzuheizen. Das C-Dur des Grafen und das F-Dur Rosinas wird zur vollkommenen Verzauberung für diese beiden Verliebten, Figaro erscheint hier als reiner Buffo. Am Ende begeisterter Schlussapplaus, Jubel.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 26 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

VERWIRRUNG BIS ZUM SCHLUSS -- "Es war einmal ein Mord" von Giovanni Gagliano im Theater Atelier Stuttgart

Eine geschickt verwobene und raffinierte Handlung präsentiert Vladislav Grakovski in seiner Inszenierung des Kriminalstücks "Es war einmal ein Mord" von Giovanni Gagliano. Spannung, Humor und…

Von: ALEXANDER WALTHER

BERÜHRENDE MOMENTE -- "Spatz und Engel" mit dem Tournee-Theater Thespiskarren (Produktion Fritz Remond Theater im Zoo, Frankfurt) im Kronenzentrum BIETIGHEIM-BISSINGEN

Edith Piaf und Marlene Dietrich stehen hier im Schauspiel mit Musik von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry als zwei Göttinnen des Chansons im Mittelpunkt des Geschehens. Und es ist gar nicht so…

EIN ÜBERZEUGTER HUMANIST -- 5. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart in der Liederhalle Stuttgart

Das Stück "Felder...im Vorübergehen" für Streichorchester aus den Jahren 1993/94 von Bernhard Lang ist nicht so spektakulär wie seine Oper "Dora", besitzt aber durchaus charakteristische…

Von: ALEXANDER WALTHER

EIN BEWEGENDER FEUERREITER -- Liedmatinee - Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille in der Staatsoper Stuttgart

Die New York Times bezeichnete das Liedduo Christian Gerhaher (Bariton) und Gerold Huber (Klavier) als "größte Liedpartnerschaft der Welt". Dies betonte Kammersängerin Christiane Iven in ihrer…

Von: ALEXANDER WALTHER

NEUE SPHÄREN IM LICHTKEGEL -- Sao Paulo Companhia de Danca im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

Mit der Deutschen Erstaufführung von "The Eight" gedenkt der Choreograph Stephen Shropshire des 200. Geburtstags von Anton Bruckner. In den Kostümen von Fabio Namatame erklingt das Finale von…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑