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Tanzlust - "Giselle" von Demis Volpi in der Deutschen Oper am Rhein

Premiere 11.06.23, Opernhaus Düsseldorf

In seinem Bericht "De l'Allemagne" erzählt Heinrich Heine von den mythischen Wilis, Geisterfrauen, die vor ihrer Hochzeit gestorben, nun immerzu tanzen müssen und Männer in den Tod ziehen. Diese Geschichte wiederum inspirierte Théophile Gautier und Henri de Vernoy Saint-Georges zu dem Libretto des 1841 uraufgeführten, inzwischen zum Klassiker gewordenen, Balletts "Giselle". In Heines Geburtsstadt hat sich nun Demis Volpi an eine Neuinterpretation des Werkes gewagt und eine in großen Teilen völlig neue Fassung geschaffen, die mehr dem gewandelten Gesellschaftsbild entspricht und Akzente setzt, die dem Zeitgeist entsprechen.

 

Copyright: Bettina Stöß


In der Urfassung verlieben sich Albrecht und Giselle ineinander. Giselle weiß nicht, dass Albrecht ein Prinz und mit Bathilde verlobt ist. Bathilde und Giselle begegnen einander und freunden sich an. Trotz ihrer gesundheitlichen Schwäche tanzt Giselle exzessiv. Als sie von Albrechts wahrer Identität erfährt, verzweifelt sie und bricht tot zusammen. Giselle wird in den Reigen der Wilis aufgenommen. Hilarion, der in Giselle verliebt war, wird von den Wilis zum Tanz gezwungen und stirbt an Erschöpfung. Dieses Schicksal weiß Giselle für Albrecht zu verhindern.

Volpi startet mit einer Bühnengeschichte auf der Bühne: Bathilde und ihr Verlobter Albrecht erscheinen nach einer Theateraufführung mit einem Blumenstrauß auf der Bühne, um den Aufführenden zu huldigen. Zwar bleiben die drei Grundmotive - Betrug und Standesunterschiede, Giselles Krankheit und ihre Freude am Tanz, die Welt der Wylis – erhalten, aber Demis Volpi legt den Fokus mehr auf die beiden zentralen Frauengestalten, Giselle und Bathilde. Inspiriert hat ihn dazu auch das eindrucksvolle Buch "The Hours" von Michael Cunningham, das auf der Grundlage von Virginia Woolfs Roman "Mrs. Dollloway" drei Frauengeschichten aus drei Zeitebenen kunstvoll miteinander verknüpft und sich äußerst sublim mit gleichgeschlechtlicher Liebe beschäftigt. Diese Sublimität findet sich auch in der angedeuteten intimen Annäherung zwischen Giselle und Bathilde wieder.

Der zweite Akt wird komplett aus der Perspektive der gealterten Bathilde erzählt, die auf ihr Leben zurückblickt, Emotionen mit Erinnerungen verwebt, über verpasste Möglichkeiten reflektiert. Die Wilis werden zu geschlechtslosen Wesen, und werden hier von Frauen und Männern in Tutus scheinbar schwerelos schwebend getanzt. Die Ballettpraxis, in der die Frauen die Hauptrolle spielen und Männer als Hilfskräfte fungieren, wird hier etwas ausgehebelt oder vielmehr ausgeglichen, denn in Volpis Version der "Giselle" müssen die beiden männlichen Protagonisten, Hilarion und der gockelhafte Albrecht mit ihrem patriarchalem Gehabe zugunsten einer weiblichen Sichtweise zurücktreten.

Furios tanzt Doris Becker die Bathilde und auch Futaba Ishizaki als Giselle überzeugt ebenso wie Daniele Bonelli als Albrecht. Beim Publikum fand diese Neuinterpretation und die überragende Leistung des Balletts am Rhein enthusiastischen Beifall.

Musik: Adolphe Adam
Choreographie: Demis Volpi
Musik: Adolphe Adam
Musikalische Leitung: Mark Rohde/Christoph Stöcker
Bühne: Heike Scheele
Kostüme: Katharina Schlipf
Licht: Bonnie Beecher
Dramaturgie: Maurice Lenhard

Giselle: Futaba Ishizaki
Bathilde: Doris Becker
Albrecht: Daniele Bonelli
Hilarion: Damián Torío
Die alte Bathilde: Angelika Richter
Das Kind: Lina Emilie Göke
Di Solistin Rose: Rose Nougué-Cazenave
Die Ankleiderin: Virginia Segarra Vidal
Der Ballettmeister: Yoav Bosidan
Die Produktionsassistentin: Neshama Nashman

Die Tänzerinnen: Lara Delfino, Norma Magalhães, Marié Shimada, Courtney Skalnik

Die Bühne: Camilla Agraso, Mariana Dias, Philip Handschin, Lotte James, Nelson López Garlo, Andrea Tozza

Die Party: Orazio Di Bella, Jack Bruce, Wun Sze Chan, Evan L'Hirondelle, Pedro Maricato, Kauan Soares, Edvin Somai, Eric White

Die Wilis: Camilla Agraso, Orazio Di Bella, Yoav Bosidan, Jack Bruce, Wun Sze Chan, Lara Delfino, Mariana Dias, Philip Handschin, Lotte James, Evan L'Hirondelle, Nelson López Garlo, Norma Magalhães, Pedro Maricato, Neshama Nashman, Clara Nougué-Cazenave, Rose Nougué-Cazenave, Virginia Segarra Vidal, Marié Shimada, Courtney Skalnik, Kauan Soares, Edvin Somai, Andrea Tozza, Vinícius Vieira, Eric White

Düsseldorfer Symphoniker

 

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