Händel macht 200 Jahre später in seinem Orlando selbigen dann zu einem Vorboten der Empfindsamkeit: Ein Weichling, der von Kämpfen und Krieg nichts mehr wissen will, dessen Vorbilder Helden sind, die in Frauenkleidern herumlaufen, der sich herausnimmt, wie eine Frau zu weinen, der dafür aber auch seine bürgerliche Existenz preiszugeben bereit ist: Händels Orlando will lieber einen Wahnsinn leben als in einer traditionellen und für ihn nicht mehr passenden Geschlechterrolle zu ersticken.
Noch einmal knapp drei Jahrhunderte später erzählt der Regisseur Rainer Holzapfel an der NEUKÖLLNER OPER Orlando als gegenwärtige Geschichte einer auseinander brechenden Familie. Aus der bei Händel angelegten psychologischen Griffigkeit und Tiefe der Figuren werden konkrete Charaktere innerhalb eines genau definierten sozial-gesellschaftlichen Zusammenhang entwickelt:
Der allein erziehende Vater, der den Rest an familiärem Zusammenhalt durch Hausmusik (das Orchester wird z.T. von unseren Darstellern selbst gebildet – siehe Seite „Kurz und bündig“!) zu gewährleisten versucht; der älteste Sohn, der eigentlich ein Mädchen ist und jetzt endlich auch als solches leben möchte; der durch die pubertären Metamorphosen verunsicherte kleinere Bruder, der von Liebe und Sexualität gar nichts wissen möchte und gerade dadurch zum begehrenswerten und manipulierbaren Objekt wird; die Cousine, die ihre Cousins als Trainingseinheiten für eine spätere Ehe mit dem dann zu erwartenden Idealgatten nutzt; und schließlich die Haushälterin, die sich nimmt, was sie kriegen kann und auch vor Vergewaltigung nicht zurückschreckt.
In dieser Produktion prallen die gegensätzlichen Vorstellungen von der Liebe, von sexueller Identität und vom Umgang mit Tradition(en) aufeinander und sorgen für ein explosives Gemisch. Wer kann sich durchsetzen? Wer sich befreien? Und: Darf Orlando als Frau leben oder nicht?
Künstlerisches Leitungsteam
Inszenierung Rainer Holzapfel
Musikalische Leitung Hans-Peter Kirchberg
Ausstattung Lisa Brzonkalla
Dramaturgie Bernhard Glocksin
Cassandra Hoffman Dorinda
Susanne Langner Orlando
Eva Scheider Angelica
Peter Veit Zoroastro
Christophe Villa Medoro
Orchester
Akkordeon Timofej Sattarov
Cembalo Sabine Erdmann / Christine Tschirge
Spinettino Peter Veit
Honky Tonk – Klavier Christophe Villa
Toy Piano Cassandra Hoffman
Harfe Verena Volkmer / Anna Viechtl
Harmonium Winfried Radeke
Klavier 1 Hans-Peter Kirchberg
Klavier 2 / Harmonium / Schoßorgel Winfried Radeke
Klavier 3 Susanne Langner, Eva Scheider
Spieltermine 28. und 30. September, 1. 4./5., 7./8., 11., 13./14., 18., 20./21., 25./26. und 28./29. Oktober sowie 2.-4. November 2006, 20 Uhr
Verkehrsanbindung: U 7 - Karl-Marx-Straße; S 41/42/46/47 – Neukölln; Bus 104
Karten 9-21 Euro, Vorbestellung unter 030 / 6889 0777, unter tickets@neukoellneroper.de sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen