Titus, selbst ein vom Rat bestimmter Thronanwärter, schlägt die ihm angetragene Kaiserwürde aus und übergibt die Macht ganz nach altem Recht an den erstgeborenen Saturninus.
Wie es die Gesetze gebieten, genehmigt der gefeierte Held seinen mit ihm aus der Schlacht heimgekehrten Söhnen, ihre toten Brüder zu ehren, indem sie den prominentesten gotischen Kriegsgefangenen, den Sohn der Gotenkönigin Tamora, den Göttern opfern. Vergeblich fleht Tamora um das Leben ihres Kindes. Titus befiehlt mitleidlos das Opferritual und zieht sich damit den unversöhnlichen Hass Tamoras zu, die ihre Geheimwaffe, den Mohren Aaron, auf den Plan ruft.
Die Antipoden, Titus als der Vertreter des alten Roms und die Barbaren Tamora und Aaron, die die römische Ordnung mit machiavellistischer Energie aufmischen, bekriegen sich auf Leben und Tod. Am Ende dieses zerstörerischen Kampfes ist Rom nicht mehr das, was es war, haben die barbarischen Fremden in die alte Welt ihre Zeichen gebrannt.
"Titus Andronicus" ist ein blutiges, krudes und zugleich hellsichtiges Schauspiel, in dem alles Politische zur Farce geriert. Jede erdenkliche Untat geschieht, es wird gelogen, geschändet und gemetzelt - und alles im Namen der Wahrheit, der Ehre und des Rechts. Feldherr Titus, der bis dato Unbestechliche, Unnachgiebige, mutiert im Spiel der Politik zur monströsen Kampfmaschine, die sich selbst vernichtet.
Zugleich aber steht dieses Stück für den Albtraum des (West-)Europäers, seine Angst vor dem radikalen Eindringen des Fremden in seine Lebenssphären. Denn hinter der Figur des Aaron verbergen sich in diesem Albtraum die zum Äußersten entschlossenen Grenzgänger, die aus den vom Gewinn abgeschnittenen Ländern in die "erste Welt" ziehen, um hier im Westen, im Occident, den Platz einzufordern, der ihnen zusteht.
VErbunden wird die Inszenierung dieser Tragödie mit einer Recherche über Leben in der Illegalität. Mit Menschen, die sich in den quer durch Afrika und Asien bewegenden Flüchtlingsströmen nach Europa bewegen und hier, ohne Aufenthaltsstatus und damit ohne staatliche Rechte, zu existieren versuchen. Ihre Lebenssituation und ihre Erwartungen sollen in einem Prolog und einem Epilog, das eigentliche Drama paraphrasierend, beleuchtet werden.
"Titus Andronicus" ist damit nach "Medea", "Manderlay" und "Wut" der vierte Versuch, Stuttgart als Einwanderungsstadt mit den sich daraus ergebenden verschiedenen Aspekten theatralisch zu thematisieren. Auch diesmal werden wir mit Chören arbeiten und damit ein Inszenierungsprinzip fortsetzen, das der Regisseur Volker Lösch mit anderen Arbeiten bereits am Schauspiel Stuttgart etabliert hat. Nach "Hamlet" ist dies die zweite Shakespeare-Inszenierung von Volker Lösch in Stuttgart.
Regie: Volker Lösch, Bühne: Carola Reuther, Kostüme: Sarah Roßberg, Chorleitung: Bernd Freytag, Dramaturgie: Beate Seidel
Mit: Lisa Bitter (Lavinia), Matthias Kelle (Demetrius), Sebastian Kowski (Titus Andronicus), Jan Krauter (Bassanius), Johannes Kühn (Lucius), Markus Lerch (Saturninus), Lukas Rüppel (Chiron), Nadja Stübiger (Tamora), Till Wonka (Aaron)
sowie Lale Asasi, Okan Asasi, Ruhsar Aydogan, Ilay Aydogan, Yunus Aydogan, Oliver-Selim Boualam, Volkan Demirkan, Tülay Deniz, Samuel Hidalgo Staub, Simon Iyob, Hüseyin Kalkan, Marcus Kettel, Pedram Khosravi, Aysel Kilic, Anastasia Kousidou, Robert Lang, Therese Lösch, Kreshnik Mehmetaj, Ammar Mekacher, Veronika Palma-Hofmann, Nahuel Pozo, Rodrigo Pozo, Lucia Prestandrea, Georg Sebestyen, Ulrike Steinweh, Mariangela Toso, Senay Yilmaz, Phil Zumbruch u.a.