Man will schnell weg von Schloss Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze, die Rote Armee steht vor der Tür. Stunden zuvor haben die Schloss-Gäste bei einem Massaker 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen.
Auf dieser Flucht wird das Publikum die Schauspielerin Isabelle Menke begleiten. Inszeniert wird die Schweizerische Erstaufführung von Leonhard Koppelmann. Treffpunkt ist jeweils das Foyer des Pfauen, den eigentlichen Spielort erreichen die Zuschauerinnen und Zuschauer mit dem Bus. Jede Vorstellung wird an einem neuen Spielort aufgeführt werden.
Frühjahr 1945. Die „Gräfin“ ist auf der Flucht, hinter sich ihr brennendes
Schloss und die Rote Armee, vor sich die Schweiz. Auf Schloss Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze hat Gräfin Margit von Batthyány eben noch eines ihrer berühmt-berüchtigten Feste gefeiert, eingeladen waren SS-Offiziere und Gestapoführer. Auf dem Höhepunkt dieses Festes griff die Gesellschaft zu den Waffen und ermordete 180 jüdische Zwangsarbeiter, die via Rechnitz deportiert werden sollten.
Rechnitz steht für ein Kriegsverbrechen, das nicht gesühnt ist. Die Leichen der Opfer wurden nie gefunden, ein Prozess kurz nach dem Krieg verlief im Sande, die Täter tauchten unter oder flüchteten unbehelligt. Und die Gräfin, eine geborene Thyssen-Bornemisza, wählte als ihren neuen Lebensmittelpunkt die Familienvilla am Luganer See.
Aus diesem Stoff entwickelt Elfriede Jelinek einen Theatertext von monumentaler Wucht und Bedrohlichkeit. Sie lässt Boten sprechen, und zwar in heutiger Zeit, in der Zeugenschaft über die NS-Verbrechen ein rares Gut geworden ist. Diese fiktiven Boten haben lange geschwiegen oder, falls sie unter Druck doch gesprochen haben, wahrscheinlich die Unwahrheit gesagt – nun plappern sie los, in einem unaufhörlichen, gewaltigen Redestrom. Sie vereinen sämtliches Wissen und Nichtwissen zum Fall Rechnitz und weit darüber hinaus, bleiben auf sich gestellt und eingeschlossen wie die Festgesellschaft in Bunuels Film „Der Würgeengel“.
Die Boten repräsentieren das Gerede, das vor der Erinnerung schützen soll. Aber wie schon in ihrem Opus Magnum „Die Kinder der Toten“ zeigt Jelinek eindrucksvoll, dass es vor manchen Abgründen keinen Schutz gibt. Die Gespenster kommen immer wieder. Nach „Macht nichts“ (2001) und „In den Alpen“ (2002) wird erstmals wieder ein Theatertext der Nobelpreisträgerin am Schauspielhaus Zürich aufgeführt.
Mit:
Isabelle Menke
Regie Leonhard Koppelmann
Bühnenbild Nadia Schrader
Kostüme Agnes Raganowicz
Dramaturgie Roland Koberg
Weitere Vorstellungen an verschiedenen Orten in Zürich:
21./ 22.12. und 6./ 7./ 25.01., jeweils 20.30h; Treffpunkt Pfauen-Foyer