Und so gilt Semele heute vielen als eine der modernsten Kompositionen Händels für das Musiktheater: neue musikalische Formen werden zugunsten des dramatischen Effektes den erprobten, aber statischen Formen vorgezogen, bühnenwirksam - und damit für das Theater wie geschaffen -
komponierte Händel nicht nur Semeles tragisch endende Suche nach emotionalen Grenzerfahrungen, sondern auch das Macht demonstrierende Donnergrollen Jupiters, die Eifersucht seiner Gattin Juno, die unglücklich liebende Ino und den grossen gemischten Chor.
Der Stoff könnte einer heutigen Boulevardzeitung entnommen sein: Ein junges, ehrgeiziges Mädchen hat eine leidenschaftliche Affäre mit einem älteren, verheirateten Mann in höchster gesellschaftlicher Position. Kann das gut gehen, und wenn ja, für wen? Semele, von Zeus vergöttert, träumt davon, die Frau an seiner Seite zu sein, überschätzt in ihrer Forderung nach Unsterblichkeit jedoch letztlich ihre Macht. Denn der Platz der rechtmässigen Gattin ist bereits vergeben. Juno, die Gemahlin, weiss ihn zu verteidigen, ohne sich mit dem jähzornigen Göttervater auf einen offenen Kampf einzulassen.
Ihre Methoden, den Gatten in den Ehehafen zurückzusteuern (und damit den eigenen Status zu verteidigen), sind subtiler und sowohl denen des Jupiter als erst recht denen Semeles an Intrigenpotenzial gewachsen. Keine Überraschung also: Semele findet sich in der Opferrolle wieder. Eine leidenschaftliche Dreiecksbeziehung als wahrhaftige Opernszenerie für emotionsgeladene Affektarien von höchstem Glück über tiefste Verzweiflung bis zu schwärzester Rache.
Händel, der frühe Europäer, in Mitteldeutschland geboren, in Italien gereift und in London zur Meisterschaft gelangt, gefeierter Liebling der Gesellschaft, geschmähter Bankrotteur, feinsinniger Kunstsammler und begnadeter Gourmet, bleibt in jedem Fall der brillante Könner seines Fachs. Die die Kunst reglementierenden politischen Zeitbarrieren weiss er wieder einmal klug zu umschiffen und sich gegen seine Gegner, die «feinen Damen, Kleingeister und Ignoranten» Londons zu behaupten.
Scheinbar bruchlos fügt Händel einen weltlichen antiken Stoff mit bürgerlich
agierenden Figuren in der (sonst religiösen) Form eines englischen Oratoriums mit italienischen Bravourarien zu einer englischsprachigen Oper zusammen, die bis heute nichts an Faszination, Aktualität und Ausdrucksstärke verloren hat.
Musikalische Leitung George Petrou
Inszenierung Jakob Peters-Messer
Bühne Markus Meyer
Kostüme Sven Bindseil
Semele Hélène Le Corre
Jupiter/Apollo Andries Cloete
Juno/Ino Lisa Wedekind
Cadmus/Somnus Carlos Esquivel
Athamas Peter Kennel
Iris Anne-Florence Marbot
Chor des Stadttheaters Bern
Berner Symphonieorchester
Weitere Vorstellungen : 21./28. Mai // 01./03./07./16. Juni 2011