Seine Kompositionen verfolgten das Ideal einer „Musique du silence“. In ihr ereignet sich die Emanzipation der Pause, des Verklingens. In dieser ersten „Literatur-Oper“ der Musikgeschichte fand Debussy zu einem neuen, gebrochenen Gesangsstil, jenseits der emotionalen Selbstgewissheit des traditionellen Operngesangs.
An diesem Punkt setzen Jossi Wieler und Sergio Morabito in ihrer Inszenierung an: Die Inszenierung verzichtet auf jede Illustration der bei Materlinck evozierten märchenhaften Szenerie. „Die Motive von „Froschkundig“ bis „Rapunzel“ sind ja nicht realistisch, sondern ‚symbolistisch’. Sie verweisen auf eine Welt, die nicht erwachsen werden kann,“ so Morabito.
Entgegen der traditionellen Darstellung von Allemonde, dem Reich des Königs Arkel, als Spukschloss oder großbürgerlicher Familiengruft, spielt das Stück in der lichten Welt einer modernen Familie. Erst beiläufig werden die Abgründe spürbar, in der guruhaften Esoterik des Großvaters Arkel (Liang Li), in der ostentativ guten Laune der Mutter Geneviève (Helene Schneidermann, ebenso in der Identitätsdiffusion der Söhne: Golaud (Oliver Zwarg), der die Rolle des starken Vaters mimt, um seiner eigenen Schwäche Halt zu geben, Pelléas (Will Hartmann), der aus der Pubertät nicht herauskommt und durch ewige Sommerferien surft.
Und Mélisande? Die von der Strasse aufgelesene Fremde (Alla Kravchuk) ist erotisches „Freiwild“, eine Traumatisierte, Opfer eines (männlichen?) Übergriffs. Von ihrem ungeliebten Mann Golaud wird sie in ein damenhaftes Kostüm gezwängt und mit einem „Stammhalter“ geschwängert. Aber sie darf nicht offen rebellieren, um nicht so zu enden wie das Alter ego einer ältlichen Obdachlosen, die als ihr geisterhafter Doppelgänger durch das Stück irrt. Als sich der Eifersuchtskonflikt zwischen den Halbbrüdern zuspitzt, verharren alle Familienmitglieder in passiver Lähmung bis die psychischen Verletzungen und verdrängten Emotionen vollends außer Kontrolle geraten.