Der Abend vereint fünf eigens geschriebene Texte der Autoren Thomas Köck, Kevin Rittberger und Nis-Momme Stockmann, die von den fünf Regie-Studierenden der Theaterakademie Hamburg Sophia Barthelmes, Moritz Beichl, Emilie Girardin Dobosiewicz, Saskia Kaufmann und Greg Liakopoulos mit dem Bremerhavener Schauspiel-Ensemble umgesetzt werden. Die Texte handeln vom Gefühl, zu kurz zu kommen, von Bremerhaven als Sehnsuchtsort und von dem, was eine lebenswerte Stadt ausmacht. Begleitend zu dieser Inszenierung öffnet sich im Publikumsformat des Festivals das Gespräch für die Zuschauer. Die Gastspiele «Istanbul« vom Theater Bremen und «Protestsong» vom Oldenburgischen Staatstheater runden das Programm ab. Das gesamte Programm ist auf der Internetseite www.stadttheaterbremerhaven.de einzusehen.
Offshore – abseits der Metropolen, am Rande des Landes und entfernt von den großen Bühnen, liegt Bremerhaven, maritimer Umschlagplatz für die Güter der Ballungsräume, Ort untergegangener Industrien und neuer Hoffnungen. Mit diesem Festival will sich das Stadttheater gleich mit zwei aktuellen Themen unserer Zeit befassen: mit der sozialen und politischen Marginalisierung von Menschen und mit dem Versuch der Bildung einer Identität unter den Bedingungen dieser Marginalisierung. Denn die hat eine objektive, politisch-soziale Seite und eine subjektive Seite: das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, die eigenen Träume zerplatzen zu sehen, weil irgendjemand sie sabotiert hat. Wenn dann ein Sündenbock dafür gesucht wird, blüht das Ressentiment und der Rechtspopulismus findet idealen Nährboden.
Drei der herausragenden Theaterautoren dieses Jahrzehnts, Nis-Momme Stockmann, Kevin Rittberger und Thomas Köck, gingen auf den Vorschlag ein, zu diesem Thema insgesamt fünf Texte zu schreiben, die mit Bremerhaven zu tun haben und von fünf Regie-Absolventen der Hamburger Theaterakademie gemeinsam mit dem gesamten Schauspiel-Ensemble auf die Bühne gebracht werden. Die jungen RegisseurInnen konfrontieren die Texte mit ihrer eigenen Ästhetik und Lebenswelt und brechen sie szenisch auf. Textflächen oder Monologe werden in mehrere Stimmen aufgespalten, mal grotesk auf die Spitze getrieben, mal mit einem klassischen Text überblendet. Sie spüren in den Geschichten die Traurigkeit und die Lügen auf, die Selbstgerechtigkeit, das Ressentiment und die Einsamkeit.
Die Versprechen der Postmoderne sind nicht eingelöst worden: Gerechtigkeit zwischen Kulturen und Minderheiten, umfassende Information und Teilhabe sowie Frieden zwischen konkurrierenden staatlichen Gebilden. Die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander als je zuvor, eine neue Kluft entsteht zwischen drinnen und draußen. Wer sich draußen fühlt, reagiert mit Depression oder mit Aggression gegen andere, Fremde. Das Festival «Offshore» ist der künstlerische Beitrag des Stadttheaters Bremerhaven zu dieser gesellschaftlichen Debatte und der Versuch, dort zu differenzieren und Haltung zu zeigen, wo Opportunismus und Gewalt derzeit eine gefährliche Mischung ergeben.
Inszenierung Sophia Barthelmes, Moritz Beichl, Emilie Girardin Dobosiewicz, Saskia Kaufmann, Greg Liakopoulos
Bühne und Kostüme Kathrine Altaparmakov
Dramaturgie Karin Nissen-Rizvani
Regieassistenz Ivana Andjelic, Tina Kalinowski, Marco Milling
Soufflage Birgit Ermers
Ausstattungshospitanz Helen Kühn, Paulina Huber
«Offshore 2» von Thomas Köck
Ein Mann will nach oben. Bei der anstehenden Beförderung jedoch wird ein anderer vorgezogen – jemand, der im Rollstuhl sitzt. Der Mann sieht sich um in diesem sauberen Haus, in dem manche Gefühle einfach nicht erlaubt scheinen. Zunächst bemüht, ein tolerantes und liberales Weltbild aufrechtzuerhalten, nagt es in ihm: Der Rollstuhl des anderen verbaut die eigene Karriere, er selbst ist nicht förderungswürdig, kein Handicap, kein Flüchtlingsstatus, nichts. Ein Posting im Internet könnte ihm Erleichterung verschaffen, doch das wird auch gesäubert vom „Bodensatz“, der in ihm aufsteigt.
Regie: Moritz Beichl
Mit: Harald Horváth, Andreas Hammer
«Peak White 2/16 (Der Festmacher)» von Kevin Rittberger
Von der Prostituierten will der Mann ja gar keinen Sex, sie nur massieren und nichts bezahlen. Da findet er sich auf der Straße wieder, nackt und beraubt. Im Beruf ergeht es ihm kaum anders. Zuerst zur Nordsee raus, Windparks aufbauen, offshore. Dann Fischfang. Der Containerhafen wächst, er studiert Nautik, will Kapitän werden, wenigstens Lotse. Auf seinen Fahrten macht er einen Fehler und wird abserviert. Er wird Festmacher, vertäut die großen Schiffe, die andere steuern. Alle profitieren, nur er wird ungerecht behandelt, wenn die Geschichte stimmt.
Regie: Emilie Girardin Dobosiewicz
Mit: Sascha Maria Icks, Oktay Bagci/ Emilie Girardin Dobosiewicz, Rüdiger Ringe
«Die Kernsanierung der Postmoderne– ein kleines Chorspiel» von Nis-Momme Stockmann
Die „Liga der Wahrheitssager“ trifft auf die „Stimme des Volkes“. Die Postmoderne ist in die Jahre gekommen, das gleichberechtigte Nebeneinander erscheint nun als Gerümpel ohne Ordnung; die endlosen Informationen, über die alle verfügen, sind von Lügen kaum noch zu unterscheiden. Die Statik des Gebäudes ist angegriffen, der Zusammenhalt gefährdet. Die Vereinzelten fühlen sich von den anderen übergangen, übervorteilt, überfordert. Die politischen Entscheidungen finden woanders statt, die beigesteuerten Meinungen sind irrelevant. Auch die Polemik ist nicht echt, die Sozialkritik, das Multikulturelle wie der Fremdenhass. Sie alle sind nur Spielplätze zum Abreagieren, „Ersatzhandlungen“, sagt die Liga der Wahrheitssager. Die Stimme des Volkes bleibt unzufrieden, gelangweilt und will lieber Fußball gucken. Erschöpft mündet die Liga der Wahrheitssager in ein Plädoyer für Humanismus und Demokratie. Am Ende ist gerade die Annäherung, der neue Konsens unheimlich und verstörend.
Regie: Sophia Barthelmes
1: Isabel Zeumer
2: Christian Neuhof
3: Jan Hallmann
Stimme des Volkes: Eva Paulina Loska
«Peak White 3/16 (Das Entrümpeln weißer Männer)» von Kevin Rittberger
Zwei alte Männer in einem Pflegeheim. Sie lachen über wahre Geschichten vom Leiden anderer. Ihr Ressentiment und ein kruder Nationalismus sind ihre letzten Freuden. Nachdem sie vor Lachen gestürzt sind und ihre Infusion verbogen haben, kommt ein Pflegeroboter vorbei und belehrt sie, die inhaltliche Überwachung der Keywords aus ihrem Gespräch habe Positionen ergeben, die nicht mit „der Philosophie dieser Einrichtung“ übereinstimmen. Der Roboter hält den beiden Alten Vorträge über deutsche und europäische Geschichte und ihre korrekte zukunftsweisende Deutung und kuschelt die Alten zugleich weg mit seiner programmierten Zuwendung. Die Situation ist so absurd, dass das Lachen noch einmal aus ihnen herausbricht, bis es im Halse steckenbleibt.
Regie: Saskia Kaufmann
Alter weißer Mann 1: Andreas Möckel
Alter weißer Mann 2: Kay Krause
Pflegeroboter: Marc Vinzing
«Offshore 1» von Thomas Köck
In Bremerhaven steht jemand am Fenster, schaut im Nebel hinaus auf den Containerhafen und sieht die Schiffe dorthin fahren, wohin die Sehnsucht weist. Doch es reisen nur noch die Waren. Der globale Transport verläuft fast vollständig automatisiert, die Person am Fenster braucht man nicht mehr. Die Brandung, die ihre Sehnsucht anfacht – Echo einer Leidenschaft, die längst vergangen ist. Romantik ist kaum noch vorstellbar, nur die Erinnerungen kommen hoch, wie Träume, die anonymen Stahlkisten wie „Erinnerungszellophan“ entsteigen, bis die Schiffe – kentern.
Regie: Greg Liakopoulos
Mit: Jennifer Sabel, Julia Friede
Weitere Vorstellungen: 18. / 19. / 24. / 25. / 26. Juni, jeweils 19.30 Uhr Eintritt: 20,00 EUR / 10,00 EUR (erm.)
In Kooperation mit der Theaterakademie Hamburg