Das Motto dieser Spielzeit im Schauspielhaus könnte auch »Freiheit und ihre Grenzen« lauten und wird in den zwei Premieren hintereinander einer intensiven Überprüfung unterzogen. In »Gerechtes Geld« kann man die Ausuferungen liberaler Marktwirtschaft an Hand der Erzählungen des Moderators CJ beobachten. »Die sexuellen Neurosen unserer Eltern«, ein Theaterstück von Lukas Bärfuss, das nach seiner Uraufführung 2003 europaweit bekannt wurde, thematisiert die Frage nach der Autonomie von Menschen mit Behinderung und den Grenzen der ihnen zugestandenen, auch sexuellen, Freiheiten.
»Gerechtes Geld« nennt der Held des Stücks, CJ, gespielt von Raphael Kübler, seine Fernsehsendung. Wir erleben einen zunehmend enthemmten Moderator, der an die primitivsten Strebungen seiner Zuschauer appelliert: An ihre Gier, die materielle wie die sexuelle; er umschmeichelt ihre Omnipotenzphantasien – und hat damit großen Erfolg. Seine Quote ist traumhaft. Im Kern verspricht er, was er nicht halten kann: Geld verdienen ohne Arbeit: viel Geld! Denn laut CJ hat jeder ein Recht auf Reichtum.
Der Dramatiker Michael Yates Crowley verbindet das Ökonomische mit dem Sexuellen und verlässt so die Gefilde der Wahrscheinlichkeit, gerät ins Surreale und enthüllt die zerstörerischen und selbstzerstörerischen Potentiale der entfesselten, liberalen Marktwirtschaft.
Welche Freiheiten werden Menschen mit Behinderung zugestanden, vor allem wenn es um deren Sexualität geht? Auf den ersten Blick ist Dora ein ganz normales Mädchen, doch schon lange steht sie unter dem Einfluss von Medikamenten. Stiller ist sie dadurch geworden und nicht mehr sie selbst. Damit soll nun Schluss sein, entscheidet ihre Mutter; dass Dora eine junge Frau ist die auf der Schwelle zum Erwachsensein steht, sieht Doras Mutter nicht.
Eine neue Welt eröffnet sich Dora durch den unbekannten feinen Herrn, der sie mit auf sein Hotelzimmer nimmt. Mit ihm entdeckt Dora ihre Sexualität, die nicht dem entspricht, was gemeinhin als liebevoll gilt. Ihre blauen Flecken alarmieren die Eltern, doch Dora sucht weiterhin die Nähe dieses Menschen, der pervers sein mag, aber ihr die Traurigkeit nimmt. Auch er projiziert ein Bild in sie hinein - das eines Engels, der ihn erlöst. Als Dora von ihm schwanger wird, flackert für einen kurzen Moment der Gedanke an eine gemeinsame Zukunft auf. Der Mikrokosmos um Dora ist irritiert, die Ordnung der Dinge gerät ins Wanken – eine Ordnung, die Dora an ihren Platz verwiesen hat. Doch nun fordert sie ein selbstbestimmtes Leben ein. Dieses jedoch darf in den Augen der anderen keine Folgen haben und erfordert eine Maßnahme: Doras Schwangerschaft wird unterbrochen und ihre Gebärmutter entfernt.
Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss gibt mit Hilfe der Figur von Dora und ihrer neu entdeckten Freizügigkeit den Blick frei auf eine strikte gesellschaftliche Ordnung von Sexualität. Es stellt sich die Frage, inwiefern Dora autonom über sich und ihren Körper entscheiden darf und als erwachsen gilt. Mit dieser Außenseiterfigur ermöglicht Bärfuss ein Neuverständnis dessen, was genau eigentlich normal ist und wie verhandelbar dieser Begriff ist.
Als Regisseur konnte der bekannte Autor und Regisseur Kristo Šagor gewonnen werden. Er erhielt bereits zahlreiche Preise und Auszeichnungen für seine Arbeit.
»Gerechtes Geld«
Michael Yates Crowley
Eine Kooperation mit dem Südthüringischen Staatstheater Meiningen
Regie Christian Claas
Ausstattung Christian Rinke
Dramaturgie Dr. Dirk Olaf Hanke
CJ Raphael Kübler
Premiere am Donnerstag, 8. 10. 2015 im Schauspielhaus / Foyer
Weitere Vorstellungen: 8. und 20. 11. 2015, jeweils 19.30 Uhr im Schauspielhaus / Foyer
Karten: 17 € / erm. 9 € . Reservierung und Kauf an der Theaterkasse: 0391 – 40 490 490 (Achtung, neue Nummer) oder online: www.theater-magdeburg.de
»Die sexuellen Neurosen unserer Eltern«
Lukas Bärfuss
Inszenierung Kristo Šagor
Ausstattung Christl Wein-Engel
Musik Felix Rösch
Dramaturgie Julia Figdor
Dora Jenny Langner
Doras Mutter Iris Albrecht
Doras Vater Sebastian Reck
Doras Chef Alexander von Säbel
Mutter des Chefs Ralph Opferkuch
Der feine Herr Oliver Chomik
Premiere am Freitag, 9. 10. 2015, 19.30 Uhr im Schauspielhaus / Studio
Weitere Vorstellungen: 18. 10. / 1., 14. und 15. 11. 2015 jeweils 19.30 Uhr im Schauspielhaus / Studio
Karten: 21 € / erm. 13 € . Reservierung und Kauf an der Theaterkasse: 0391 – 40 490 490 (Achtung, neue Nummer) oder online: www.theater-magdeburg.de