Mit ihrem Erscheinen und dem zur Schau gestellten Reichtum erregt Claire viel Aufsehen in der Stadt. Die Bewohner und auch der Bürgermeister erhoffen sich von ihr finanzielle Unterstützung. Sie will aber nur eins: Rache an ihrem damaligen Freund Alfred nehmen, der ihr vor langer Zeit großes Leid zugefügt hat. Claire ist bereit, einen immensen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, doch knüpft sie daran einen Bedingung: Alfred soll sterben. Das Ansinnen wird zunächst entrüstet abgelehnt. Doch nach und nach fangen die Bürger an, darüber nachzudenken, ob man nicht doch im Hinblick auf das Geld das geforderte Opfer bringen sollte. Und schon beginnt ein grotesk-makabrer Reigen: Alle werden hineingerissen in einen Strudel, der angetrieben wird von der Gier nach Geld, von den Fragen nach Schuld und Sühne, dem Bedürfnis nach Rache, aber auch – auf Seiten des geforderten Opfers – von der Bereitschaft, sich seiner Verantwortung zu stellen.
Friedrich Dürrenmatts 1956 uraufgeführte Tragische Komödie Der Besuch der alten Dame gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Stücken der Nachkriegszeit – und stellt gerade heute, in Zeiten der Krise und der Knappheit finanzieller Ressourcen, genau so gesellschaftliche Missstände bloß.
Doch lässt sich diese Vorlage überhaupt als Ballett inszenieren? Ist die Handlung um den Besuch der reichen Rächerin nicht zu kompliziert; sind die Dialoge des Autors nicht zu virtuos und witzig, als dass man hier auf das gesprochene Wort verzichten könnte? Es sind gerade diese Wechselspiele von Zuwendung und Ablehnung, von vermeintlicher Anteilnahme und brutaler Ausgrenzung, von individueller und kollektiver Schuld, die man in der Beschränkung auf die Ausdrucksmittel der Körpersprache – ohne den schmeichelnden Klang von Dürrenmatts Dialogen - am deutlichsten spüren und sezieren kann. Der Veränderungsprozess in der Bevölkerung findet in der Würzburger Inszenierung auch eine visuelle Umsetzung, die durch das Farbkonzept der Kostüme, für die Kristopher Kempf verantwortlich ist, dargestellt wird. Sandra Dehler gestaltet das Bühnenbild in sehr reduzierten Farben und bedient sich diverser verschiebbarer Paravents, die gleichzeitig die Fläche für den Bühnenraum weitende Videoprojektionen bilden.
Anna Vitas Handlungsballett präsentiert diesen literarischen Stoff erstmalig in einer vertanzten Fassung in der Region. Anna Vita absolvierte ihre Tänzerausbildung an der „John Cranko Schule“ in Stuttgart. Ab 1983 war sie an folgenden Häusern engagiert: Staatstheater Saarbrücken, Theater Dortmund, Oper Bonn, Theater Basel und Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf / Duisburg. Seit 2004 ist sie als Ballettdirektorin und Choreografin an das Mainfranken Theater Würzburg verpflichtet. Seitdem kreierte sie für die Ballettcompagnie unter anderen Produktionen wie Der Welt Lohn, Andersens Welt, Der Nussknacker, Romeo und Julia, Das Bildnis des Dorian Gray, Medea, Der Feuervogel, Dracula oder Othello. Gastaufträge führten sie an das Theater Augsburg oder die Deutsche Oper am Rhein. Anna Vita ist Erste Vorsitzende von „Runder Tisch Tanz Würzburg/ Mainfranken e.V.“ und entwickelte 2011 mit dem Verein das erste Festival „Würzburg tanzt“. In der Spielzeit 2011/2012 brachte sie ihre Inszenierung Der Tod und das Mädchen an die Oper Halle. Anna Vita erhielt im Jahr 2007 den Theaterpreis Würzburg des Theater- und Orchesterfördervereins.
Choreografie und Inszenierung: Anna Vita
Bühne und Video: Sandra Dehler
Kostüme: Kristopher Kempf
Dramaturgie: Christoph Blitt
Choreografische Assistenz und Spielleitung: Marius Krisan
Ballettrepetition und Inspizienz: Tomáš Ibrmajer
Mit:
Claire Zachanassian: Caroline Matthiessen
Toby: Eun Kyung Chung
Roby: Yumiko Fukuda
Alfred: Felipe Soares Cavalcante / Aleksey Zagorulko
Frau: Cara Hopkins
Tochter: Zoya Ionkina / Kirsten Renee Marsh
Sohn: Aleksey Zagorulko / Yoshimasa Samos
Lehrer: Timothy Szczepkowski-Collins
Pfarrer: Leonam Abilio da Conceicao Santos a. G.
Bürgermeister: Ivan Alboresi
Eine Bürgerin: Kirsten Renee Marsh
Ein Bürger: Yoshimasa Samos